Europäisches Gemeinschaftsrecht

das Recht der Europäischen Gemeinschaften, bestehend aus dem zur Bildung der Europäischen Gemeinschaften geschaffenen Vertragsrecht {primäres Gemeinschaftsrecht) und dem von den Organen der Gemeinschaften erlassenen (Folge-) Recht {sekundäres Gemeinschaftsrecht). Rat und Kommission können Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen erlassen, Empfehlungen aussprechen und Stellungnahmen abgeben. Haben unterschiedliche Verbindlichkeit; gelten z.T. in den Mitgliedsstaaten unmittelbar. Auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg sind E.G.

ist das besondere, zwischen Völkerrecht und staatlichem Recht angesiedelte Recht der Europäischen Gemeinschaften. Dieses setzt sich zusammen aus dem zur Bildung der Europäischen Gemeinschaften geschaffenen Vertragsrecht (primäres E.G., Gründungsverträge, einschließlich spätere Änderungen der Gründungsverträge z.B. durch die Einheitliche Europäische Akte, Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza, Beitrittserklärungen der später beigetretenen Mitgliedstaaten, Gewohnheitsrecht der Europäischen Gemeinschaft, allgemeine Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft [z. B. Grundrechte, Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip, Demokratieprinzip]) und dem von den Organen der Europäischen Gemeinschaften erlassenen Recht (sekundäres E. G., bis zum Ende des Jahrs 1998 rund 1450 Richtlinien, daneben Verordnungen, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen). Das Europäische Gemeinschaftsrecht gilt zum Teil unmittelbar in den einzelnen Mitgliedstaaten und hat dann Vorrang vor dem Recht des einzelnen Staats. Nicht E.G. ist das nationale, auf Grund gemeinsamen Beschlusses der Mitgliedstaaten geschaffene Recht. Lit.: Hakenberg, W., Europarecht, 4. A. 2007; Europas universale rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends, hg.v. Köbler, G. u.a., 2000; Montag, F./Bonin, A. v., Die Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts bis Ende 2004, NJW 2005, 2898

bezeichnet die Rechtsquellen der Europäischen Gemeinschaften und ermächtigt u. a. die einzelnen Organe der Gemeinschaft zum Erlass von Rechtsakten, die gegenüber den Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsbürgern Wirksamkeit entfalten. Unterschieden wird zwischen dem primären und dem sekundären Gemeinschaftsrecht.
Primäres Gemeinschaftsrecht: Das primäre Gemeinschaftsrecht leitet sich aus den Gründungsverträgen der Einzelgemeinschaften einschließlich der Anhänge und Protokolle sowie den späteren Ergänzungen und Änderungen dieser Verträge und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ab („Verfassung der EG”) und geht dem sekundären Gemeinschaftsrecht vor. Für die Europäische Gemeinschaft ist primäre Rechtsquelle der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 25.3. 1957 (EG-Vertrag) mit den wichtigen Änderungen durch den Maastrichter Vertrag, den Amsterdamer Vertrag sowie den Vertrag von Nizza. Eigentliches Ziel des EG war und ist die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes für alle Beteiligten. Der Verwirklichung der Marktfreiheit dienen vor allem die im EG geregelten Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft.
Sekundäres Gemeinschaftsrecht: Das sekundäre Gemeinschaftsrecht wird von den Organen der Gemeinschaft aufgrund des primären Gemeinschaftsrechts geschaffen und ergibt sich aus Art.249 EG-Vertrag (Verordnung der Europäischen Gemeinschaft, Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft sowie Empfehlungen und Stellungnahmen der Europäischen Gemeinschaft). Das Gemeinschaftsrecht hat gegenüber dem nationalen Recht uneingeschränkten Vorrang. Wegen der Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung, der Verpflichtung der Mitgliedstaaten gem. Art. 10 Abs. 2 EG-Vertrag, alle Maßnahmen zu unterlassen, die der Verwirklichung der Gemeinschaftsziele entgegenstehen könnten, und der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften geht das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vor. Der Vorrang führt in den Mitgliedstaaten dazu, dass dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehendes nationales Recht im Einzelfall nicht angewendet werden darf. Weist die Fallgestaltung keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug auf, bleiben nationale Regelungen anwendbar (Inländerdiskriminierung).
Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung: Die Europäische Gemeinschaft wird nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung von den Mitgliedstaaten mit Kompetenzen ausgestattet. Die Europäische Gemeinschaft besitzt keine Kompetenz-Kompetenz, kann also aus eigener Souveränität keine Kompetenzen begründen. Vielmehr bedarf es einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage innerhalb des primären Gemeinschaftsrechts. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung wird ergänzt durch die sog. Impliedpowers-Lehre. Diese besagt, dass die Gemeinschaftskompetenzen gleichzeitig die notwendigerweise mitzuregelnden Tatbestände erfassen, ohne die die Kompetenznormen nicht sinnvoll zur Anwendung gelangen könnten. Abgerundet werden die Gemeinschaftskompetenzen durch Art.308 EG-Vertrag. Diese nachrangige Kompetenznorm ermächtigt die Organe zum Erlass von Rechtsakten, soweit ein Tätigwerden der Gemeinschaft für erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen.
Rechtsetzung: Hinsichtlich des Rechtsetzungsverfahrens muss zwischen dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht unterschieden werden. Das primäre Gemeinschaftsrecht wurde mit Abschluss der Gründungsverträge durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffen. Auch jede Änderung oder Neuregelung des Primärrechts erfolgt durch die Mitgliedstaaten selbst. Das Vertragsänderungs- bzw. -ergänzungsverfahren erfolgt für alle Gemeinschaften gern. Art. 48 EU-Vertrag. Danach kann eine Vertragsrevision auf Initiative eines Mitgliedstaates oder der Kommission erfolgen. Der Rat hat dann nach Einholung entsprechender Stellungnahmen des Europäischen Parlaments eine Regierungskonferenz einzuberufen, auf der die Vertragsänderung beschlossen wird. Diese Änderung ist daraufhin in den Mitgliedstaaten nach den nationalen Vorschriften zu ratifizieren. Erst nach der Ratifizierung wird die Änderung für alle Mitgliedstaaten wirksam.

Die Rechtsetzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht erfolgt dagegen ausschließlich durch die Organe der Gemeinschaften. Zum Erlass von Rechtsakten sind gem. Art.249 Abs. 1 EG-Vertrag das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat allein und die Kommission berechtigt. Geht es um den Erlass von Richtlinien oder Verordnungen, ist der Rat das Hauptrechtsetzungsorgan. Die typischen Handlungsformen der Kommission sind Entscheidungen und Durchführungsverordnungen. Die verschiedenen Arten des Rechtsetzungsverfahrens sind in Art. 250-252 EG-Vertrag geregelt. Die Differenzierung zwischen den verschiedenen Verfahren ist von einer unterschiedlich intensiven Beteiligung des Europäischen Parlaments geprägt. Jedes Rechtsetzungsverfahren lässt sich in eine Initiativ-, Beratungs-, ggf. Vermittlungsund schließlich Beschlussphase aufteilen. Das Anhörungsverfahren gern. Art. 250 EG-Vertrag wird durch einen Vorschlag der Kotemission eingeleitet. Das Erfordernis der Anhörung und Einholung einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Regionalausschusses ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Der Beschluss des Rates erfolgt mit der in der Ermächtigungsgrundlage vorgesehenen Mehrheit. Die Missachtung einer in den Gründungsverträgen vorgesehenen obligatorischen Anhörung des Europäischen Parlaments führt — wegen Gefährdung des institutionellen Gleichgewichts — als wesentlicher Verfahrensfehler zur Nichtigkeit des Rechtsaktes.
Verfahren der Zusammenarbeit: Eine weitere Stärkung der Stellung des Europäischen Parlaments enthält das Verfahren der Zusammenarbeit gem. Art. 252 EG-Vertrag. Es gilt immer dann, wenn in den Gründungsverträgen ausdrücklich auf Art. 252 EG-Vertrag Bezug genommen wird. Durch den (Vertrag von Amsterdam) fand eine weitgehende Beschränkung dieses Verfahrens auf Rechtsakte im Rahmen der Wirtschaftsund Währungsunion statt. Die Vorbereitungsphase endet mit einem Beschluss des Rates über einen „gemeinsamen Standpunkt”, der die Auffassung der Mitgliedstaaten widerspiegelt. Die Kommission ist durch das Initiativrecht und das Europäische Parlament durch Beratung mit anschließender Stellungnahme beteiligt. Stimmt das Parlament dem Beschluss des Rates zu, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit bei Übereinstimmung mit dem Vorschlag der Kommission oder Einstimmigkeit bei Abweichung beschließen. Lehnt das Parlament den „gemeinsamen Standpunkt” ab, ist der Rat zur Einstimmigkeit in der Abstimmung gezwungen. Schlägt das Parlament Änderungen vor, muss sich die Kommission mit den vorgeschlagenen Änderungen befassen. Bei Nichtübernahme der Änderungen ist eine einstimmige Entscheidung des Rates erforderlich.

Verfahren der Mitentscheidung: Das Verfahren der Mitentscheidung gem. Art. 251 EG-Vertrag wurde erstmalig durch den (Vertrag von Maastricht) eingeführt. Danach kann das Europäische Parlament erstmals einen Rechtsakt scheitern lassen oder gemeinsam mit dem Rat, gegen die Kommission, verabschieden. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde das Verfahren vereinfacht, der Geltungsbereich ausgeweitet und die Stellung des Europäischen Parlaments weiter aufgewertet. Das Verfahren wird ebenfalls durch einen Vorschlag der Kommission eingeleitet. Hat das Europäische Parlament in seiner ersten Lesung keine Änderungen vorgeschlagen, kann der Rat schon in diesem Stadium den Rechtsakt grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit endgültig erlassen. Das Gleiche gilt, wenn der Rat mögliche Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments gebilligt hat. Ansonsten endet die Vorbereitungsphase mit einem „gemeinsamen Standpunkt” des Rates, der dem Europäischen Parlament zur zweiten Lesung zugeleitet wird. Billigt das Parlament diesen Beschluss, gilt der Rechtsakt als erlassen. Lehnt das Parlament den „gemeinsamen Standpunkt” mit absoluter Mehrheit ab, ist der Rechtsakt gescheitert. Schlägt das Parlament mit absoluter Mehrheit Änderungen vor, wird der geänderte Beschluss zunächst der Kommission und dann dem Rat zugeleitet. Übernimmt der Rat alle Änderungen des Parlaments, kann er den Rechtsakt mit qualifizierter Mehrheit bzw. einstimmig — wenn die betreffende Kompetenznorm dies fordert — verabschieden. Sollte die Kommission eine ablehnende Stellungnahme abgegeben haben, ist ebenfalls Einstimmigkeit erforderlich. Billigt der Rat nicht alle Abänderungen des Parlaments, beginnt die Vermittlungsphase. Der vom Rat und Parlament paritätisch besetzte Vermittlungsausschuss ist einzuberufen. Kommt eine Einigung des Vermittlungsausschusses zustande, müssen Rat und Parlament das Ergebnis in einer dritten Lesung bestätigen, wobei im Rat eine qualifizierte Mehrheit und im Parlament eine absolute Mehrheit erforderlich ist. Abänderungen sind nicht zulässig. Wird kein Kompromiss im Vermittlungsverfahren erzielt, gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht angenommen. Gem. Art.254 EG-Vertrag sind Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, die im Verfahren der Mitentscheidung erlassen wurden, vom Präsidenten des Rates zu unterzeichnen und im Amtsblatt der EG zu veröffentlichen. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens ist entweder im Rechtsakt festzulegen oder der Rechtsakt tritt 20 Tage nach der Veröffentlichung in Kraft.

bezeichnete man früher das Recht der Europäischen Gemeinschaft (s. Gemeinschaftsrecht, europäisches). Nach dem Aufgehen der Europäischen Gemeinschaft in der Europäischen Union gibt es nur noch Europäisches Recht.

war die frühere Bezeichnung der die Europäische Gemeinschaft (EG) begründenden Verträge (Primärrecht) sowie des auf Grund dieser Verträge gesetzten Recht (Sekundärrecht). Bereits das E. G. unterschied Richtlinien (heute Richtlinien der Europäischen Union) und Verordnungen (Verordnungen der Europäischen Union). Seit dem Aufgehen der (EG) in der Europäischen Union (EU; s. a. Europäische Integration, 3 g) gibt es kein eigenes E. G. mehr, sondern nur ein einheitliches Europäisches Recht der EU.




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