Völkergewohnheitsrecht

gehört nach Art.38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut zu den — ungeschriebenen — Völkerrechtsquellen. Das einschlägige Völkergewohnheitsrecht regelt, gemeinsam mit dem auf andere Art erzeugten Völkerrecht, die Rechtsbeziehungen zwischen miteinander nicht durch Vertrag verbundenen Völkerrechtssubjekten. Des Weiteren besitzt es eine Auffangfunktion für vertraglich nicht oder nur lückenhaft geregelte Sachverhalte. Zur Kodifikation des Völkergewohnheitsrechts werden in den internationalen Beziehungen zunehmend völkerrechtliche Verträge zwischen den Staaten abgeschlossen.
Entstehung des Völkergewohnheitsrechts: Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut führt für die Entstehung des Völkergewohnheitsrechts zwei Voraussetzungen an; eine objektive: die „Allgemeine Übung” (consuetudo), und eine subjektive: die Anerkennung der Übung als Recht (opinio iuris). Die allgemeine Übung kann grundsätzlich in positivem Tun (Handlungen, Erklärungen) und unter bestimmten Voraussetzungen in einem Unterlassen liegen. Nach h.L. muss sie von gewisser Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung sein. Fehlt sie, entsteht nach herrschender Auffassung kein Völkergewohnheitsrecht. Subjektiv muss die Rechtsüberzeugung bestehen, dass das Verhalten rechtlich geboten ist. Eine andere Meinung lässt auch ein politisch notwendiges Verhalten ausreichen (opinio iuris sive necessitatis). Liegen lediglich die objektiven Voraussetzungen vor, entsteht kein Völkergewohnheitsrecht, sondern nur Sitte bzw. Höflichkeit Courtoisie). Bindungswirkung: Allgemeines Völkergewohnheitsrecht bindet grundsätzlich jedes inhaltlich betroffene Völkerrechtssubjekt. Durch fortlaufenden Protest kann ein Staat zwar nicht die Entstehung,
jedoch eine Bindung für sich selbst verhindern (persistent objector). Bindungswirkung neu entstandener Staaten an das bereits bestehende Völkergewohnheitsrecht: Die h. M. vertritt die Theorie von der vorgefundenen Rechtsordnung. Danach bindet Völkergewohnheitsrecht neu entstehende Staaten vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an. Nach der Theorie vom notwendigen Konsens (a. A.) bedarf es für eine Bindungswirkung der ausdrücklichen oder konkludenten Selbstbindung der neuen Staaten. Völkergewohnheitsrecht ist grundsätzlich dispositiv, d. h., es kann durch entgegenstehende vertragliche oder völkergewohnheitsrechtliche Normen verändert oder aufgehoben werden (Ausnahme: ius cogens).

Wie innerstaatliches Gewohnheitsrecht setzt auch die Entstehung von V. voraus, dass ein bestimmtes Verhalten von den Rechtssubjekten längere Zeit ständig beachtet wird, weil sie es aus Rechtsgründen für erforderlich halten. Je nach dem räumlichen Umfang der Anerkennung der rechtlichen Gebotenheit eines bestimmten Verhaltens entsteht regionales (partikulares) oder allgemeines oder universales Völkerrecht. V. kann sowohl bisheriges Völkerrecht ändern als auch neues begründen. Die Hauptquelle für den Nachweis bestehenden Gewohnheitsrechts ist die diplomatische Praxis der Staaten. In jüngerer Zeit wurden Versuche der Kodifikation des V. unternommen (z. B. Seerechtskonferenzen 1958, 1960 und 1963-1982).




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