Sozialtypisches Verhalten

ein Verhalten, das eine allgemein angebotene Leistung (Antrag) in Anspruch nimmt und nach der Verkehrsanschauung zur vertraglichen Bindung (Vertrag) führt (z.B. Einsteigen in einen Omnibus, Benutzung eines gebührenpflichtigen Parkplatzes), und zwar auch, wenn ein entgegengesetzter Wille erklärt wird.

Gelegentlich wurde die Auffassung vertreten, dass die rein tatsächliche Inanspruchnahme einer im modernen Massenverkehr rein tatsächlich öffentlich angebotenen Leistung mangels eines entsprechenden Erklärungsbewusstseins nicht als beiderseitige Willenserklärung anzusehen sei. Sie sei aber als Vorgang zu werten, der nach seiner sozialtypischen Bedeutung die gleiche Rechtsfolge habe wie ein rechtsgeschäftliches Handeln. Folgt man dieser Ansicht, kann ein Vertrag nicht bloß durch rechtsgeschäftlichen Vertragsschluss, sondern (nach dem Grundsatz von Treu und Glauben) auch durch tatsächliche Vorgänge begründet werden.
BGHZ 21, 319 ff. („Hamburger Parkplatzfall”): Die Freie und Hansestadt Hamburg richtete im Jahre 1953 auf dem Rathausmarkt „parkgeldpflichtige” Parkplätze ein und übertrug einer K. GmbH die entgeltliche Bewachung. B. stellte in der Folgezeit mehrfach ihr Fahrzeug auf dem Rathausmarkt ab und erklärte jeweils, dass sie die Bewachung ihres Fahrzeuges und die Bezahlung eines Entgeltes ablehne. Der (konkludente) Abschluss eines entgeltlichen Bewachungsvertrages durch Abstellen des Fahrzeuges scheitert möglicherweise an der entgegenstehenden ausdrücklichen Erklärung der B., einen solchen Vertrag gerade nicht abschließen zu wollen. Der BGH meinte demgegenüber, einen Vertragsschluss (nur) nach der Lehre vom sozialtypischen Verhalten bejahen zu können.
Die heute h. M. lehnt die Lehre vom sozialtypischen Verhalten und die nach ihr gegebene Möglichkeit eines Rechtsgeschäfts ohne Willenserklärung ab. Ein Vertragsschluss kommt nur in Betracht, soweit das Verhalten der Beteiligten als konkludente Erklärung ihres Willens zu werten ist. Eventuell fehlendes Erklärungsbewusstsein wird dadurch ersetzt, dass das Verhalten nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte und auch tatsächlich so verstanden wird (Willensmängel). Eine etwa im Widerspruch zu dem derart manifestierten Willen stehende ausdrückliche Willensäußerung kann als mit dem eigenen Verhalten unvereinbare Verwahrung (protestatio facto contraria) unbeachtlich sein (was wiederum str. ist).

Schuldverhältnis (2).




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