Rückwirkung von Gesetzen

Bestandteil des Rechtsstaats; 1) echte R. (Eingriff in bereits abgewickelte Tatbestände) ist möglich, wenn a) der Bürger mit dem Gesetz rechnen musste, b) wenn das geltende Recht unklar und verworren ist und durch eine rechtlich einwandfreie Norm ersetzt wird, c) wenn eine nichtige Bestimmung ersetzt wird, d) wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls den Erlass des Gesetzes fordern; 2) unechte R. (Eingriff in noch nicht abgeschlossene Tatbestände für die Zukunft) ist a) unter den Voraussetzungen unter 1) möglich, b) wenn das Vertrauen des Bürgers sachlich nicht gerechtfertigt war, c) wo die Abwägung des Vertrauens gegenüber dem gesetzgeberischen Anliegen unter Berücksichtigung des gemeinen Wohls zugunsten des letzteren ausfällt. - Strafgesetze zum Nachteil eines Beschuldigten können nie rückwirkend erlassen werden, Art. 103 Abs. 2 GG.

Geltung einer Norm für einen vor ihrer Verkündung liegenden Zeitraum. Man unterscheidet:
— echte Rückwirkung (auch Rückbewirkung von Rechtsfolgen), wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, wenn also die Rechtsfolgen für einen vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten sollen;
unechte Rückwirkung (auch tatbestandliche Rückanknüpfung), wenn die Rechtsnorm zwar nicht auf vergangene, sondern auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, damit aber zugleich eine Rechtsposition nachträglich entwertet.
Rückwirkende Strafgesetze sind nach Art. 103 Abs. 2 GG generell unzulässig (absolutes Rückwirkungsverbot). Zulässig ist die Rückwirkung bei begünstigenden Gesetzen, da hier der Vertrauensschutz des Bürgers nicht berührt wird. Für belastende Gesetze wird dagegen ein grundsätzliches Verbot der echten Rückwirkung angenommen. Nur ausnahmsweise tritt der Vertrauensschutz zurück, wenn das Vertrauen nicht schutzwürdig ist, z.B.
— weil der Bürger schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, mit der (Neu-)Regelung rechnen musste.
— weil das bisherige Recht unklar und verworren war oder eine nichtige Vorschrift rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzt wird.
Schließlich können zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine echte Rückwirkung rechtfertigen. Eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) ist dagegen grundsätzlich zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Abwägung ausnahmsweise ein Überwiegen des Vertrauensinteresses des Bürgers ergibt.
Nach der Rechtsprechung des 2. Senats des BVerfG ist die tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) kein am Rechtsstaatsprinzip zu messendes Rückwirkungsproblem, sondern ein Problem der Grundrechtseinschränkung (BVerfGE 72, 200, 242); dem nähert sich auch der 1. Senat des BVerfG an, ohne jedoch auf die begriffliche Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung zu verzichten.

Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit verbieten nicht grundsätzlich die R. v. G; Gesetzesnormen können daher im Prinzip auf zurückliegende Tatbestände angewendet werden. Keine echte R. liegt vor, wenn eine neue Regelung, die Unklarheiten und Zweifel beseitigen soll, auf noch nicht abgeschlossene Tatbestände anzuwenden ist. Das Gleiche gilt für Übergangsregelungen, die Verfahrensgesetze für anhängige Verfahren treffen. Andererseits darf bei abgeschlossenen, bereits abgewickelten Sachverhalten eine erworbene Rechtsposition nicht geschmälert und auch sonst das Vertrauen der Beteiligten in die Beständigkeit gesetzlicher Regelungen nicht unbillig beeinträchtigt werden. Anders, wenn - etwa auf Grund ernst zu nehmender Ankündigungen - mit Änderungen, z. B. erhöhten steuerlichen Belastungen, gerechnet werden musste. Über das Verbot der R. von Strafgesetzen s. Art. 103 II GG (nullum crimen/nulla poena sine lege).




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