in dubio pro reo iudicandum est

(Zweifelssatz): In der Kurzform „in dubio pro reo” gebräuchlich. Wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt: „Im Zweifel (ist) für den Angeklagten (zu entscheiden)”. Mit der Unschuldsvermutung des Art.6 Abs. 2 EMRK eng verwandter, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteter, fundamentaler Rechtssatz des sachlichen Strafrechts, aber weder im StGB noch in der StPO kodifiziert. Er besagt allgemein, dass nur der wirklich Schuldige die Strafe verwirkt hat und dass straflos ist, wessen Schuld nicht zweifelsfrei feststeht und wer daher möglicherweise unschuldig ist (BGHSt 18, 274, 275).
Bedeutung: Unmittelbar ergibt sich für den Strafrichter daraus, dass er, wenn nach abgeschlossener Beweiserhebung und -würdigung mehrere Fallgestaltungen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen möglich bleiben, die für den Angeklagten günstigste zugrunde zu legen hat. Der Zweifelssatz wird dabei für jeden entscheidungsrelevanten Gesichtspunkt neu angewandt, was innerhalb eines Falles zu gegenteiligen Annahmen führen kann.
Bleibt beispielsweise nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen offen, ob der Angeklagte bei seiner Unfallfahrt alkoholbedingt schuldunfähig oder ob er schuldfähig war, so muss nach dem Zweifelssatz im Zusammenhang mit der Bestrafung aus Trunkenheitsdelikten (11315c, 316 StGB) von seiner Schuldunfähigkeit ausgegangen werden. Geht es dann um die Bestrafung aus Vollrausch (1323a StGB), ist zu seinen Gunsten volle Schuldfähigkeit zu unterstellen.
Mittelbare Bedeutung besitzt der Zweifelssatz für die Abschlussentscheidung im strafrechtlichen Vorverfahren. Gelangt der Staatsanwalt bei seiner Prüfung des hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 StPO zu der Prognose, dass das Gericht am Ende einer gedachten Hauptverhandlung nach dem „in dubio pro reo”Satz zu einem Freispruch kommen würde, so muss er von einer Anklage absehen und das Strafverfahren einstellen.
Reichweite: Der Zweifelssatz gilt für die Feststellung solcher Tatsachen, die den Tatbestand, die Rechtswidrigkeit oder die Schuld betreffen, darüber hinaus auch für Tatsachen, die nach materiellem Recht die Verhängung von Strafen und Maßregeln betreffen, insbesondere also für Tatsachen, die für das Vorliegen von Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründen von Bedeutung sind. Ferner ist bei Unklarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen von Tateinheit oder Tatmehrheit zugunsten des Angeklagten von Tateinheit auszugehen. Auch wenn verschiedene möglicherweise verwirklichte Delikte in einem Stufenverhältnis zueinander stehen oder eine Strafvorschrift im Verhältnis zu anderen als Auffangtatbestand fungiert, ist in dubio pro reo aus dem milderen bzw. aus dem Auffangdelikt zu bestrafen. Schließlich dürfen in Fragen der Strafzumessung zulasten des Angeklagten nur solche Tatsachen verwertet werden, die erwiesen sind. Für prozessuale Tatsachen gilt der „in dubio pro reo”Satz nur eingeschränkt. Immerhin erkennt die Rspr. die Anwendung an, wenn es um die Frage der Verjährung einer Tat, Strafklageverbrauch durch eine frühere Verurteilung und das Vorliegen eines rechtzeitigen Strafantrages geht. Der Zweifelssatz gilt auch, wenn die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu prüfen ist.
Grenzen: Der „in dubio pro reo”-Satz gilt nicht, wenn es um rechtliche Zweifelsfragen bei der Gesetzesauslegung geht, vgl. auch in dubio mitius. Die Auslegung hat der Richter selbst vorzunehmen. Auch wenn trotz verschiedener möglicher Sachverhalte eine eindeutige Verurteilung möglich ist, wie in den Fällen der Wahlfeststellung, Präpendenz und Postpendenz, darf keine „in dubio pro reo”-Entscheidung ergehen. Auch Prognoseentscheidungen, wie z.B. bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a Abs. 1 StPO, bei der Strafaussetzung zur Bewährung oder bei Maßregeln der Besserung und Sicherung sind dem Zweifelssatz nicht zugänglich. Für rein prozessual erhebliche Fragen, wie die Verhandlungsfähigkeit, das Recht zur Zeugnisverweigerung oder das Vorliegen eines Beweisverbots gilt der Zweifelssatz ebenfalls nicht.




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