Strafrecht

die Gesamtheit derjenigen Rechtsvorschriften, die Inhalt und Umfang der staatlichen Befugnis umfassen, auf ein bestimmtes menschliches Verhalten mit Strafe oder -» Maßregeln der Besserung und Sicherung zu reagieren. Man unterscheidet zwischen dem materiellen S. (dem S. im eigentlichen Sinn), das die Voraussetzungen der Strafbarkeit und deren Rechtsfolgen festlegt, und dem formellen S. (dem Strafprozeßrecht), das den Ablauf des Strafverfahrens regelt. Nicht zum (materiellen) S. gehört das Recht der Disziplinarmaß- nahmen, Ordnungswidrigkeiten, Ordnungs- und Zwangsmittel.
Teil des öffentlichen Rechts, der sich mit Ge- und Verboten an den einzelnen Bürger wendet und deren Mißachtung unter Strafe stellt. Da hierdurch am stärksten in die Freiheit des Bürgers eingegriffen wird, ist das Strafrecht mit besonderen Rechtsgarantien ausgestattet. So dürfen Strafen nur durch Gesetze im formellen Sinne angedroht und nur durch Richter verhängt werden. Die strafbaren Tatbestände müssen vor Begehung der Tat allgemein festgestanden haben, sie müssen genau bezeichnet sein. Eine Analogie (Rechtsanwendung) zu Lasten des Angeklagten ist verboten. Die Staatsanwaltschaft muß bei ihren Ermittlungen auch alle den Beschuldigten entlastenden Umstände berücksichtigen. Es muß dem Angeklagten nachgewiesen werden, daß er eine strafbare Handlung begangen hat (Unschuldsvermutung zugunsten des Angeklagten, «im Zweifel für den Angeklagten»). Niemand darf wegen derselben Tat zweimal bestraft werden. Das Strafrecht ist bei uns in seinem Allgemeinen Teil im Strafgesetzbuch (StGB) zusammengefaßt, das auch die wichtigsten einzelnen Straftatbestände enthält. Daneben gibt es jedoch weitere Straftatbestände in sehr vielen Gesetzen (meist an deren Schluß), für die aber gleichfalls der Allgemeine Teil des StGB gilt. Der Strafprozeß ist in der Strafprozeßordnung (StPO), für Jugendliche und Heranwachsende im JGG (Jugendgerichte) geregelt. Kleinere Verstöße gegen Ordnungsvorschriften werden nicht mehr dem Straf recht zugerechnet, sondern bilden das Sondergebiet der Ordnungswidrigkeiten.

1) Str. im subjektiven Sinn ist Befugnis zum Strafen; Strafrecht im objektiven Sinn ist Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die Grundlage und Regelung der Strafbefugnis des Staates bilden. Materielles Str. sind Rechtssätze, die den staatlichen Strafanspruch nach Grund und Höhe betreffen; formelles Str. ist das Strafverfahren. - 2) Vom kriminellen Str. sind Zwangs-, Beuge-, Ordnungs- und Disziplinarstrafen zu trennen. Mit Grund und Zweck des Strafens befassen sich Strafrechtstheorien. - 3) Quellen des geltenden Str.s: Das mehrfach geänderte StGB vom 15.5.1871, sowie NebenG (z.B. WehrstrafG, GewerbeO, WehrG, SteuerG, WirtschaftsG). Seit 1953 Grosse Strafrechtsreform mit Entwurf eines StGB; Dazu etwa 200 Bände oberstrichterlicher Entscheidungen. - 4) Für Anwendung der StrafG.e gelten allg. Grundsätze, z. B.: a) Rückwirkung von StrafG.en ausgeschlossen;
b) Bestrafung nach G, das zur Zeit der Handlung gilt;
c) Anordnung von Massregeln der Sicherung und Besserung nach G z. Z. der Entscheidung; d) in dubio pro reo; e) für räumlichen Geltungsbereich vor allem Personalitätsprinzip massgebend.

Inbegriff der Rechtsnormen, die - unter dem Gebot
rechtsstaatlicher Bestimmtheit - Tatbestände und Rechtsfolgen krimineller Handlungen regeln. Aufgabe des Strafrechts ist es, die fundamentalen Werte menschlichen Zusammenlebens zu schützen. Die in den Grundrechten des GG enthaltene Wertordnung indiziert den vom Strafrecht zu sichernden sozialethischen Kernbereich. Die Jurisdiktion über die einschlägigen Unrechtstatbestände ist ausschliesslich den Richtern anvertraut (Art. 92).
Der Richtervorbehalt hindert den Gesetzgeber, minder schwere Delikte aus rechtspolitischen Gründen in Ordnungswidrigkeiten umzuwandeln. Zu dieser Kategorie können nur solche Gesetzesübertretungen herabgestuft werden, die nach allgemeinem gesellschaftlichen Konsens nicht das Unwerturteil krimineller Strafwürdigkeit verdienen. Dies kommt z.B. bei weniger bedeutsamen Verstössen gegen Strassenverkehrsvorschriften in Betracht.

. Das S. dient der Aufrechterhaltung der allgemeinen Friedensordnung, indem es mit seinen Sanktionen bestimmte für die Existenz des einzelnen u. das Zusammenleben der Menschen wichtige Rechtsgüter zu schützen sucht. Das geltende S. ist im vielfach geänderten Strafgesetzbuch (StGB) aus dem Jahre 1871 kodifiziert. Strafrechtliche Tatbestände sind darüber hinaus in zahlreichen sonstigen Gesetzen geregelt, die an sich ganz andere Materien zum Gegenstand haben (z. B. Strassenverkehrsgesetz, Gewerbeordnung, Abgabenordnung). Für die konkrete Handhabung des S. - vor allem bei der Strafzumessung - ist die Frage nach dem Zweck der Strafe von entscheidender Bedeutung. Dabei sind verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen (§ 46 StGB). In erster Linie ist die Schuld des Täters massgeblich; die Strafe ist Sühne u. Vergeltung für begangenes Unrecht. Zugleich ist der Erziehungszweck der Strafe zu berücksichtigen: Sie soll auf den Täter im Sinne der Spezialprävention so einwirken, dass er künftig straffrei lebt; demgemäss hat auch der Strafvollzug seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft (Resozialisierung) zu fördern. Soweit der Rahmen einer schuldangemessenen Bestrafung eingehalten wird, kann die Strafe auch als Mittel der Abschreckung der Allgemeinheit (Generalprävention) eingesetzt werden.
Seit 1969 sind 5 Strafrechtsreformgesetze ergangen, die das S. grundlegend umgestaltet haben. Das 1. Gesetz zur Reform des S. von 1969 hat anstelle der Zuchthaus-, Gefängnis- u. Haftstrafe eine einheitliche Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren Dauer oder von lebenslanger Dauer eingeführt. Die kurzfristige Freiheitsstrafe wurde zugunsten der Geldstrafe u. der erweiterten Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung eingeschränkt. Das Gesetz beseitigte umstrittene Straftatbestände, insbes. im Bereich des Sexualstrafrechts (z. B. Ehebruch, Sodomie, einfache Homosexualität). Das 2. Reformgesetz (gleichfalls von 1969) hatte eine Neufassung des gesamten Allgemeinen Teils des StGB zur Folge. Es verschärfte die Geldstrafe, schränkte die kurzfristigen Freiheitsstrafen weiter ein, ersetzte die bisherigen Übertretungen im Zuge einer Entkriminalisierung des S. durch Ordnungswidrigkeiten u. gestaltete die Massnahmen zur Besserung des Täters u. zur Sicherung der Gesellschaft vor dem Täter weiter aus. Mit dem
3. Reformgesetz von 1970 wurde das Demonstrationsstrafrecht liberalisiert. Das 4. Strafrechtsreformgesetz (1973) stellte den strafrechtlichen Schutz von Ehe u. Familie auf eine neue Grundlage. Vor allem aber setzte es die im 1. Reformgesetz begonnene Reform des Sexualstrafrechts fort. Neu eingeführt wurde die Bestrafung der Herstellung u. der Verbreitung von Schriften u. Darstellungen, die Gewalt verherrlichen oder zum Rassenhass aufstacheln. Durch das 5. Reformgesetz (1974) sollte die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs neu geregelt werden. Die durch dieses Gesetz zugelassene Fristenlösung ist vom Bundesverfassungsgericht 1975 für nichtig erklärt u. aufgrund des 15. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1976 durch die erweiterte Indikationenlösung ersetzt worden. 1980 wurde dem StGB durch das 18. Strafrechtsänderungsgesetz ein Abschnitt "Straftaten gegen die Umwelt" eingefügt (Umweltrecht).
Grundsätze des Strafrechts. Durch das S. greift der Staat wohl am nachhaltigsten in die individuelle Freiheitssphäre ein. Gegen die durch die staatliche Strafgewalt eröffneten Missbrauchsgefahren trifft die Rechtsordnung verschiedene Vorkehrungen, die durch das Grundgesetz verfassungsrechtlichen Rang erhalten haben. Nach Art. 103 II GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Mag die öffentliche Meinung eine bestimmte Handlung als noch so verwerflich, sozialschädlich, rücksichtslos verdammen - nur dann, wenn sie durch Gesetz mit Strafe bedroht ist, stellt sie eine Straftat dar, kann sie bestraft werden (nullum crimen, nulla poena sine lege). Diese elementare, der Rechtssicherheit jedes einzelnen dienende Vorschrift verbietet die rückwirkende Anwendung eines Strafgesetzes, aber auch die Ausweitung durch Analogieschluss (Rechtsnorm). Eine spätere Verschärfung bleibt unberücksichtigt, eine spätere Milderung kommt dagegen dem Täter zugute. Aus dem Rechtsstaatsprinzip des GG folgt, dass nur die schuldhafte Tat strafbar sein kann. Eine Folge des Schuldgrundsatzes ist, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum die Strafe entfallen lässt (Schuld); der frühere Grundsatz, dass ein Rechtsirrtum nicht vor Strafe schütze, erweist sich damit als überholt. Das Verbot der Bestrafung in solchen Fällen schliesst andererseits nicht aus, dass auch gegenüber einem schuldlosen Täter Massnahmen ergriffen werden können, die, ohne Strafcharakter zu besitzen, seiner Heilung, Entwöhnung usw. dienen oder die Allgemeinheit vor gefährlichen Personen schützen sollen (Massregeln der Besserung und Sicherung). Der Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 I GG) verbunden mit dem Recht auf Leben u. körperliche Unversehrtheit (2 II 1 GG) findet in der Abschaffung der Todesstrafe durch Art. 102 GG u. in dem heute als selbstverständlich empfundenen Verbot aller Leibesstrafen im S. seine Bestätigung u. Verwirklichung. Auch im S. gilt das Verhältnismässigkeitsprinzip. Die Strafe muss zu der Schuld des Täters u. der Schwere seiner Tat, die Massregel der Besserung u. Sicherung zu der Bedeutung der begangenen u. zu erwartenden Taten sowie zum Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Der Allgemeine Teil des Strafrechts. Das StGB besteht aus zwei Teilen. Der Allgemeine Teil enthält jene Vorschriften, die auf alle oder mehrere der im Besonderen Teil geregelten einzelnen Straftatbestände zutreffen oder zutreffen können. Der Besondere Teil handelt von den einzelnen Verbrechen u. Vergehen u. deren Bestrafung (s. dazu das jeweilige Stichwort). Der Allgemeine Teil beginnt mit dem Grundsatz des Art. 103 II GG: keine Strafe ohne Gesetz (§ 1 StGB). Er regelt sodann (§§ 2 ff. StGB) den zeitlichen u. räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes, letzteren unter dem Gesichtspunkt, ob die Tat im Inland oder im Ausland begangen worden ist (für Auslandstaten nur eingeschränkte Geltung des deutschen S.). Der erste Abschnitt schliesst mit der Unterscheidung von Verbrechen u. Vergehen, einer Differenzierung, die - trotz der Ablösung der Zuchthaus- u. Gefängnisstrafe durch die einheitliche Freiheitsstrafe - auch in Zukunft bestehen bleibt Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmass mit Freiheitsstrafe von 1 Jahr oder darüber, Vergehen solche Taten, die im Mindestmass mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind (§ 12 StGB). Die Kategorisierung hat vor allem grundsätzliche Bedeutung: Trotz der aus kriminalpolitischen Zweckmässigkeitsüberlegungen erfolgten Vereinheitlichung der Freiheitsstrafe wird das prinzipielle Unwerturteil über die Tat durch die Zweiteilung diffferenziert; das Verbrechen bleibt die schwere, verwerflichere Deliktsform. Darüber hinaus liegen der Unterscheidung gesetzestechnische Erwägungen zugrunde: So ist etwa der Versuch bei Verbrechen stets, bei Vergehen nur dann strafbar, wenn es die jeweilige Gesetzesnorm ausdrücklich bestimmt (§ 23 I StGB); im Strafprozess ist das Strafbefehlsverfahren nur bei Vergehen zulässig (§ 407 I StPO).
Jede Straftat vereinigt 3 Grundelemente in sich: Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands, Rechtswidrigkeit, Schuld. Fehlt eines dieser Momente, liegt keine Straftat vor.
Der Tatbestand muss, um dem Rechtsgrundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" zu entsprechen, im Gesetz klar u. bestimmt umschrieben sein. Zu beachten ist, dass eine Straftat auch durch Nichttun begangen werden kann: Unterlassungsdelikte sind z.B. Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB) u. unterlassene Hilfeleistung (§ 330 c StGB). Darüber hinaus gilt ganz allgemein: Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt (Garantenstellung), u. wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht (§ 13 StGB). So begeht z.B. die Mutter, die ihr Kind verhungern lässt, Tötung durch Unterlassen.
Die Rechtswidrigkeit ergibt sich aus der Verletzung des durch das Strafgesetz geschützten Rechtsgutes; sie wird durch die Tatbe-
Standsverwirklichung indiziert. Die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, der das an sich verbotene Tun erlaubt sein lässt. Rechtfertigungsgründe sind vor allem Einwilligung des Verletzten, Notwehr u. rechtfertigender Notstand.
Schuld, das dritte Element jeder strafbaren Handlung, bedeutet Vorwerfbarkeit des mit Strafe bedrohten Verhaltens (im einzelnen: Schuld).
Rechtsfolgen der Straftat. Das StGB unterscheidet als mögliche Rechtsfolgen einer Straftat die Strafen, die Massregeln der Besserung u. Sicherung sowie Verfall u. Einziehung. Als Hauptstrafen kommen Freiheitsstrafe u. Geldstrafe in Betracht (§§ 38 ff. StGB). Nur bei besonders schweren Verbrechen ist die Freiheitsstrafe lebenslang (z. B. bei Mord). In der überwiegenden Mehrzahl ist sie zeitig (d. h. zeitlich begrenzt) mit einer Höchstdauer von 15 Jahren, einer Mindestdauer von 1 Monat. Die Geldstrafe wird in Tagessätzen (mindestens 5, höchstens 360) verhängt. Das Gericht bestimmt die Höhe eines Tagessatzes innerhalb eines Spielraums unter Berücksichtigung der persönlichen u. wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe; einem Tagessatz entspricht 1 Tag Freiheitsstrafe. Neben einer Hauptstrafe kann das Gericht bei Verkehrsdelikten gegen den Kraftfahrer die Nebenstrafe des Fahrverbotes für die Dauer von 1 Monat bis zu 3 Monaten verhängen (§ 44 StGB). Als Nebenfolgen der Verurteilung wegen Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr sieht das Gesetz insbes. den Verlust der Amtsfähigkeit u. der Wählbarkeit vor (§§ 45 ff. StGB). Das StGB gibt dem Richter Richtlinien für die Strafzumessung (§ 46 StGB), an denen er sich innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Strafrahmens orientiert. Grundlage für die Strafzumessung ist die Schuld des Täters. Dabei hat das Gericht alle Umstände gegeneinander abzuwägen, die für u. gegen den Täter spechen. Auch sind die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Sozialverhalten des Täters zu erwarten sind. Freiheitsstrafen unter 6 Monaten sollen nur dann verhängt werden, wenn es unerlässlich ist; in allen anderen Fällen ist Geldstrafe anzuordnen. Strafschärfungs- oder Strafmilderungsgründe verschieben den Strafrahmen nach oben bzw. nach unten. Strafschärfungsgründe, die eine höhere Strafbarkeit bewirken, müssen gesetzlich normiert sein (z.B. Diebstahl in besonders schweren Fällen oder Bandendiebstahl). Ist Strafmilderung vorgeschrieben (z. B. im Fall der versuchten Anstiftung) oder zugelassen (z.B. bei vermeidbarem Verbotsirrtum), wird die Strafe gem. § 49 I StGB herabgesetzt (z. B. Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren anstelle lebenslanger Freiheitsstrafe). Darf das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildem (z. B. bei rechtzeitiger Berichtigung einer Falschaussage), so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmass der angedrohten Strafe herabgehen oder statt Freiheitsstrafe Geldstrafe verhängen (§ 49 II StGB). Das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes darf nach st. Rspr. keine Strafschärfung zur Folge haben. Eine erlittene Untersuchungshaft wird
i. d. R. angerechnet (§511 StGB). Zur Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen (Realkonkurrenz, Idealkonkurrenz) Konkurrenzen im Strafrecht.
Massregeln der Besserung u. Sicherung (§§61 ff. StGB) können neben oder anstelle einer Strafe verhängt werden. Sie haben aber nicht den Charakter von Strafen, obwohl sie für den Täter oft unbequemer u. unangenehmer als Strafen sind, kommen daher auch gegen schuldunfähige Täter in Betracht, denen gegenüber sie vielfach das einzige Mittel zum Schutz der Allgemeinheit sind. Soweit die Massregeln - wie z.B. die Unterbringung in einer Anstalt - auch Besserungsaufgaben erfüllen sollen, werden sie tunlichst vor einer zugleich verhängten Strafe vollzogen u. auf diese angerechnet; ist der Besserungserfolg eingetreten, kann die Strafe oder ihr Rest u. U. auf Bewährung ausgesetzt werden. Freiheitsentziehende Massregeln sind die Unterbringung des Täters in eine Anstalt (psychiatrisches Krankenhaus, Entziehungsanstalt) oder in der Sicherungsverwahrung (Hangtäter). Weitere Massregeln der Besserung und Sicherung sind die Führungsaufsicht - sie soll die Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern schützen u. zugleich deren Resozialisierung fördern -, die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie das Berufsverbot.
Die dritte Gruppe der Rechtsfolgen einer Straftat - Verfall u. Einziehung (§§ 73 ff. StGB) - betrifft Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht (z. B. Falschgeld) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden sind (z.B. Waffen, Einbruchswerkzeug) sowie deren Wertersatz (z. B. das für Falschgeld eingetauschte echte Geld).

ist die Gesamtheit der auf die Voraussetzung Straftat die Rechtsfolgen Strafe und bzw. oder Maßregel der Besserung und Sicherung androhenden Rechtssätze. Das S. ist ein Teil des öffentlichen Rechts. Es gliedert sich in einen allgemeinen Teil, der allgemein die Straftat und ihre Rechtsfolge ordnet, und einen besonderen Teil, in dem einzelne besondere, mit Strafe bedrohte Handlungen in ihren Voraussetzungen und Folgen geregelt sind. Außerhalb des Strafgesetzbuchs steht das Nebenstrafrecht. In der Rechtsgeschichte gewinnt das öffentliche S. in nachantiker Zeit erst seit dem Hochmittelalter und dem erstarkenden Staat an Bedeutung. Lit.: Strafrecht (Lbl.), 23. A. 2005; Haft, F., Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. A. 2004; Haft, F., Strafrecht Besonderer Teil I, 8. A. 2004, Besonderer Teil II 8. A: 2005; Wessels, J./Beulke, W., Strafrecht, Allgemeiner Teil, 36. A. 2006; Wessels, J./Hettinger, M., Strafrecht, Besonderer Teil 1, 28. A. 2004; Wessels, H./Hillenkamp, T., Strafrecht, Besonderer Teil 2, 28. A. 2005; Krey, V., Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 1 O.A. 2005, Bd. 2 14. A. 2005; Roxin, C., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1 4. A. 2006, Bd. 2 2003; Kühl, K., Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. A. 2005; Arzt, G., Die Strafrechtsklau- sur, 7. A. 2006; Naucke, W, Strafrecht, 10. A. 2002; Otto, //., Grundkurs Strafrecht, I.A. 2004; Rengier, R., Strafrecht Besonderer Teil I, 9. A. 2007; Rengier, R., Strafrecht Besonderer Teil II, 7. A. 2006; Lübkemann, W., Strafrecht und Strafverfahrensrecht, 23. A. 2054; Schmehl, M./Vollmer, W., Die Assessorklausur im Strafrecht, 6. A. 2001; Hillenkamp, I, 32 Probleme aus dem Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. A. 2006; Hillenkamp, T., 40 Probleme aus dem Strafrecht Besonderer Teil, 10. A. 2004; Kindhäuser, U., Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. A. 2002; Gropp, W., Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. A. 2001; Krey, V., Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. 1 2000, Bd. 2 2001; BaumannJ./Weber, U./Mitsch, W., Strafrecht Allgemeiner Teil ll.A. 2003; Satzger, H., Internationales und europäisches Strafrecht, 2004; Otto, H., Übungen im Strafrecht, 6. A. 2005; Ambos, K., Internationales Strafrecht, 2006; Frister, H., Strafrecht Alltemeiner Teil, 2006; Walter, T., Einführung in das internationale Strafrecht, JuS 2006, 967

die Gesamtheit aller Rechtsnormen, die Entstehung, Umfang und Durchsetzung des Strafanspruchs regeln. Da es rechtliche Beziehungen hoheitlicher Natur zwischen dem Staat und den Bürgern regelt, ist das Strafrecht Teil des öffentlichen Rechts. Seine Funktion liegt in der Wahrung des Rechtsfriedens durch den Schutz der Rechtsgüter. Strafrechtlich geschützte Interessen sind sowohl solche des Einzelnen als auch solche der Allgemeinheit.
Das Strafrecht erzwingt damit die Einhaltung derjenigen Regeln, deren Beachtung für ein friedliches Zusammenleben unerlässlich ist. Dies unterscheidet das Strafrecht i. e. S. auch vom Ordnungswidrigkeiten-recht, Disziplinarrecht und dem Recht der Ordnungsmittel und Zwangsmittel.
Von der Funktion des Strafrechts ist jedoch der Zweck der Strafe im Einzelfall zu unterscheiden (Strafzwecke).
Zu unterscheiden sind das materielle und das formelle Strafrecht. Das Erstere regelt die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Straftat. Das Letztere ist das Strafprozessrecht und regelt die Voraussetzungen und Modalitäten der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.
Rechtsquellen des materiellen Strafrechts sind das Strafgesetzbuch, das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zahlreiche strafrechtliche Nebengesetze (z.B. §§399 ff. AktG, 29 ff. BtMG, 370ff. AO etc.). Die für alle Straftatbestände geltenden Regeln insbesondere über den Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen, Grundlagen der Strafbarkeit, Versuch, Täterschaft und Teilnahme, Rechtfertigungsgründe, Rechtsfolgen der Tat und einzelne Voraussetzungen ihrer Verfolgbarkeit sind im Allgemeinen Teil des StGB geregelt. Der Besondere Teil des StGB und die strafrechtlichen Nebengesetze regeln, welches Verhalten unter welchen Umständen wie strafbar ist.
Im verfassungsrechtlichen Sprachgebrauch finden sich zwei Deutungen:
1) Gesamtheit der Normen, in denen staatliche Reaktionen wie schuldbezogene Strafen und nicht schuldbezogene Maßregeln der Sicherung und Besserung anlässlich und aufgrund einer Straftat geregelt sind (so z. B. in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, wo es um die Gesetzgebungskompetenz geht);
2) Gesamtheit aller Rechtsnormen, die an ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten anknüpfen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient (z. B. in Art. 103 Abs. 2 GG).
Diese Deutung bezieht ehrengerichtliche und disziplinarische Maßnahmen mit ein, ferner das Ordnungswidrigkeitenrecht, nicht aber Maßregeln der Sicherung und Besserung.
Der Fortgeltung von Landesstrafrecht hat das EGStGB v. 2. 2. 1974 enge Grenzen gesetzt. Gem. Art. 1 Abs. 2 EGStGB gilt der Allgemeine Teil des StGB grundsätzlich auch für das Landesstrafrecht. Die möglichen landesstrafrechtlichen Rechtsfolgen sind durch Art.3 EGStGB begrenzt. Auch soweit eine Materie im Besonderen Teil des StGB abschließend geregelt ist, bleibt daneben gern. Art. 4 Abs. 2 EGStGB für Landesstrafrecht kein Raum. Danach gilt Landesstrafrecht noch im Bereich des Steuer- und Absabenstrafrechts und des Feld- und Forstschutzrechts, da durch Art.4 Abs. 3-5 EGStGB für diese Bereiche ausdrückliche Vorbehalte zugunsten des Landesstrafrechts geschaffen wurden. Für das Pressewesen enthält etwa § 22 PresseG NW eine Strafvorschrift.

1.

a) Das S. umfasst die Gesamtheit der Rechtsnormen, die Inhalt und Umfang der staatlichen Strafbefugnis bestimmen. Es gehört zum öffentlichen Recht, da es Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den seiner Hoheitsgewalt unterstellten Einzelpersonen regelt. Man unterscheidet zwischen dem materiellen und dem formellen S. Das Erstere ist das S. im eigentlichen Sinne. Es bezeichnet die Voraussetzungen der Strafbarkeit und deren Rechtsfolgen, indem es die für alle Straftaten geltenden Grundsätze (meist zusammengefasst im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs) und die Merkmale der einzelnen Straftaten sowie die sich hieran knüpfenden Strafdrohungen festlegt. Das formelle S. oder Strafprozessrecht enthält die Normen über den Ablauf des Strafverfahrens, in dem das materielle S. im Einzelfall angewendet wird. Das geltende S. knüpft die Strafbarkeit an eine konkrete Handlung, nicht an eine rechtswidrige (kriminelle) Persönlichkeitsstruktur; es ist also Tat-, nicht Täterstrafrecht. Hingegen ist für die Deliktsfolgen die Täterpersönlichkeit von wesentlicher Bedeutung.

b) Unter dem materiellen S. im eigentlichen Sinne wird nur das Kriminalstrafrecht verstanden (im Gegensatz zum Recht der Ordnungsmittel, Ordnungswidrigkeiten, Disziplinarmaßnahmen, Erzwingungshaft oder Zwangsmittel). Die Normen des materiellen S. sind im Wesentlichen im Strafgesetzbuch niedergelegt, das aber - namentlich durch Hinzufügen von Einzeltatbeständen - in zahlreichen Nebengesetzen ergänzt wird. Zu diesen gehören das AktienG, das BetäubungsmittelG, die Steuergesetze, das SprengstoffG und viele andere mehr; einzelne Nebengesetze enthalten sogar ausschließlich Strafbestimmungen, z. B. das WehrstrafG und das WirtschaftsstrafG 1954.

c) Über den strafrechtlichen Handlungsbegriff sowie über die Voraussetzungen, an die sich eine Straffolge knüpft (insbes. über den Aufbau der Tatbestandsmerkmale), Straftat, über den Inhalt des Strafausspruchs Strafen, Nebenstrafen und Nebenfolgen, Maßregeln der Besserung und Sicherung.

2.
Das deutsche S. ist seit Beginn des 20. Jh. Gegenstand zahlreicher Reformversuche gewesen, so der StGB-Entwürfe 1909, 1911, 1913, 1919, 1925, 1927, 1930, 1936. Die in der nat.soz. Zeit 1933-1945 vorgenommenen Änderungen wurden durch die Gesetzgebung des Kontrollrats 1945 zum großen Teil wieder beseitigt.
Eine umfassende Reform wurde von der BReg. erst 1954 eingeleitet; sie führte zum StGB-Entwurf 1962, schließlich zur umfassenden Neuregelung des Allgemeinen Teils des StGB und zur Änderung des gesamten StGB durch das EGStGB vom 2. 3. 1974 (BGBl. I 469); eine n. F. des StGB wurde am 2. 1. 1975 (BGBl. I 1) verkündet. Vorher bereits waren einzelne Reformgedanken im Wege kleinerer Änderungen des StGB (sog. Novellierungen) verwirklicht worden, so im Bereich der Staatsschutzdelikte und durch Verlängerung bzw. Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord und Völkermord (8. u. 9. StrÄndG vom 25. 6. 1968, BGBl. I 741, und 4. 8. 1969, BGBl. I 1065). Das 1. StrRG vom 25. 6. 1969 (BGBl. I 645) hatte bereits Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung und Haft zu einer einheitlichen Freiheitsstrafe zusammengefasst, eine allgemeine Rückfallvorschrift eingeführt und das Arbeitshaus sowie die Strafbarkeit der einfachen Homosexualität und des Ehebruchs beseitigt. Das 2. StrRG vom 4. 7. 1969 (BGBl. I 717) enthielt in der Neufassung des Allgem. Teils des StGB u. a. eine weitere Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafen, die Verwarnung mit Strafvorbehalt sowie Änderungen im System der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Das 3. StrRG vom 20. 5. 1970 (BGBl. I 505) befasste sich mit den Demonstrationsdelikten. Gegenstand des 4. und 5. StrRG vom 23. 11. 1973 (BGBl. I 1725) und 18. 6. 1974 (BGBl. I 1297) sind die Sexualdelikte und die Strafbarkeit des Abbruchs der Schwangerschaft. Das EGStGB 1974 brachte die Anpassung des Besonderen Teils des StGB an die Neuregelungen des Allgemeinen Teils, aber auch eine Änderung zahlreicher Einzeltatbestände (z. B. im Bereich der Amtsdelikte); andere Tatbestände wurden aus Nebengesetzen übernommen.
Weitere umfassende Novellierungen von besonderer Bedeutung sind das 15. StrÄndG vom 18. 5. 1976 (BGBl. I 1213), das die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs unter Präzisierung der Indikationsfälle neu regelte, die Ges. zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und der Umweltkriminalität vom 29. 7. 1976 (BGBl. I 2034), 28. 3. 1980 (BGBl. I 373) und 23. 5. 1986 (BGBl. I 721), das Ges. zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. 7. 1992 (BGBl. I 1302), das Schwangeren- und FamilienhilfeG vom 27. 7. 1992 (BGBl. I 1398), das 2. Ges. zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27. 6. 1994 (BGBl. I 1440), das VerbrechensbekämpfungsG vom 28. 10. 1994 (BGBl. I 3186), das Schwangeren- und FamilienhilfeänderungsG vom 21. 8. 1995 (BGBl. I 1050), das den Schwangerschaftsabbruch neu regelt, das Ges. zur Bekämpfung der Korruption vom 13. 8. 1997 (BGBl. I 2038) und das 6. StrRG vom 26. 1. 1998 (BGBl. I 164), das vor allem die Strafrahmen für Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter anhob. Durch das Völkerstrafgesetzbuch v. 26. 6. 2002 (BGBl. I 2254) wurden die dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs entsprechenden völkerrechtlichen Straftatbestände in das deutsche Strafrecht aufgenommen.

3.
Gebiet ehem. DDR.

a) Das S. der DDR, zuletzt geregelt im StGB-DDR i. d. F. vom 14. 12. 1988 (GBl. 1989 I 33), diente der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung und war darauf gerichtet, den Straftäter durch die Strafen zur Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu erziehen. Es enthielt Vorschriften, die den Prinzipien eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates widersprachen.

b) Im Vertrag vom 18. 5. 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der BRep. und der DDR (BGBl. II 518), dem Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze und der Anlage III dazu wurde vereinbart, bestimmte Vorschriften des StGB-DDR aufzuheben oder zu ändern und bis dahin nicht anzuwenden, vor allem über Grundsätze des sozialistischen S., politische Straftaten und Delikte zum Schutz planwirtschaftlicher Strukturen sowie die Unterscheidung zwischen sozialistischem und sonstigem Eigentum. Umgesetzt wurde dies im 6. StrÄG-DDR vom 29. 6. 1990 (GBl. I 526), das am 1. 7. 1990 in Kraft trat und auch zahlreiche Strafen aufhob.

c) Seit dem 3. 10. 1990 gilt in den neuen Ländern auf Grund des Einigungsvertrages vom 31. 8. 1990 (BGBl. II 885) das Strafgesetzbuch (StGB); die dabei vorgesehenen Maßgaben gelten nicht mehr. S. auch DDR-Straftaten, DDR-Urteile, Rehabilitierungsgesetze.




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