Rätesystem

Dieses ist nach marxistischer Staatstheorie Ausdruck der Diktatur des Proletariats, das aus sich selbst Räte (russisch: sowjet) wählt und ihnen die Ausübung der Staatsgewalt bis zur jederzeit möglichen Abwahl überträgt. Das R. wurde bisher nirgends in reiner Form über längere Zeit verwirklicht. Die Sowjetunion (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) ist in Wahrheit formal eine repräsentative Demokratie, tatsächlich eine Diktatur der Staatspartei.

1.
Im ursprünglichen Sinne ist das R. ein politisches System, das durch die Bestellung von Arbeiterräten die Herrschaft der Arbeiterklasse begründen soll. Von den Sozialisten des 19. Jh. gedanklich entworfen, wurde es 1917 erstmals in Russland durch Errichtung von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten unter Außerachtlassung der Grundsätze der Gewaltentrennung als Räterepublik verwirklicht. In Deutschland kam es 1918/1919 zu Versuchen, das R. als politische Herrschaftsform einzuführen. Die Reichsgewalt ging am 9. 11. 1918 auf den Rat der Volksbeauftragten über, der - gestützt auf die Arbeiter- und Soldatenräte - die gesetzgebende und vollziehende Gewalt des Reiches wahrnahm. Der Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands beschloss im Dezember 1918 selbst Wahlen zu einer Nationalversammlung, mit deren Konstituierung am 6. 2. 1919 das Rätesystem sein Ende fand.

2.
Der Begriff des R. wurde auf der Grundlage des Art. 165 WV auch im Wirtschaftsverfassungsrecht gebraucht (Errichtung von Betriebs- und Bezirksarbeiterräten und eines Reichsarbeiterrats zur Wahrnehmung der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer; Zusammenschluss mit den Vertretungen der Unternehmer zu Bezirkswirtschaftsräten und zu einem Reichswirtschaftsrat zur Erfüllung gesamtwirtschaftlicher Aufgaben und zur Mitwirkung bei der Ausführung der Sozialisierungsgesetze). Verwirklicht wurde nur die Errichtung der Betriebsräte durch Erlass des Betriebsrätegesetzes vom 4. 2. 1920. Im GG sind dem Art. 165 WV entsprechende Vorschriften nicht enthalten. S. jedoch Betriebsverfassungsrecht.

3.
Während das politische R. darin besteht, dass nicht nur wirtschaftliche Teilbereiche durch Räte verwaltet, sondern alle gesellschaftlichen und staatlichen Aufgaben von Räten wahrgenommen werden, sehen demokratische Modelle eine über das allgemeine Maß hinausgehende Teilnahme der Bürger an Entscheidungen nur in bestimmten Teilbereichen der Gesellschaft vor (z. B. in der Wirtschaft, an Hochschulen; Mitbestimmung i. w. S.). Demgegenüber verlangt das R. in seiner strengen Ausprägung die Verwaltung aller Organe des Staates, der Wirtschaft und anderer Bereiche durch Räte, die mit imperativem Mandat ausgestattet und jederzeit abwählbar sind; es lehnt die repräsentative Demokratie, die Gewaltentrennung und damit auch die Unabhängigkeit der Gerichte (Unabhängigkeit des Richters) ab. Es ist deshalb mit dem GG nicht vereinbar.




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