Rechtspositivismus

positives Recht.

Gesetz und Recht Naturrecht

Der R. sieht den Ursprung und letzten Bestimmungsgrund des Rechts allein im Staat. Nach dieser Auffassung
gilt als Recht nur das "positive", d. h. das staatlich gesetzte u. staatlich anerkannte Recht. Für den R. gibt es keine vorstaatlichen, allgemeingültigen und überzeitlichen Rechtsnormen, wie sie dem Naturrecht eigen sind. Das Recht beruht nach dieser Ansicht auf dem blossen Willen des Staates als rechtsetzender Autorität. Als eigentlicher Begründer des R. ist Thomas Hobbes anzusehen, der nur den souveränen Staat berufen sah, den Krieg aller gegen alle durch die von ihm gesetzte Rechtsordnung zu überwinden: "Auctoritas, non veritas facit legem." Der R. erlebte seine Blüte in der 2. Hälfte des 19. Jh., als die meisten Staaten dazu übergingen, ihr Recht zu kodifizieren u. dadurch berechenbar zu machen. Das bleibende Verdienst des R. besteht darin, dass er im Rückgriff auf das staatlich gesetzte u. anerkannte Recht als einzig verbindliche Rechtsquelle Rechtssicherheit zu gewährleisten sucht. Der R. geriet spätestens dann in eine Krise, als der Nationalsozialismus daranging, Unrecht in Gesetzesform zur Norm zu erheben. Das Grundgesetz, das sich zur Menschenwürde und zu unverletzlichen u. unveräusserlichen Menschenrechten bekennt (Art. 1), zieht der positivistischen Rechtsauffassung Grenzen.

ist der das Recht betreffende Positivismus Lit.: Köhler, G., Deutsche Rechtsgeschichte, 6. A. 2005; Ott, W., Der Rechtspositivismus, 2. A. 1992; Szekessy, L., Gerechtigkeit und inklusiver Rechtspositivismus, 2003

ist im weitesten Sinn jede Theorie, die unter Vermeidung metaphysischer Annahmen (d. h. insbesondere der Existenz Gottes, eines Ideenreichs, einer vernünftigen Weltordnung, einer unveränderlichen Natur des Menschen oder einer teleologisch bestimmten Natur; Naturrecht) den Begriff des Rechts mithilfe empirischer und veränderlicher Merkmale bestimmt. Kennzeichen des Rechtspositivismus ist die strikte (gedankliche) Trennung von Recht und Moral. Die Hauptthese des (allgemeinen) Positivismus besagt, dass echtes Wissen über die Welt nur durch Erfahrung gewonnen werden kann. Der Positivismus ist eine Theorie der Naturwissenschaften, die später (durch Comte) auf die Geisteswissenschaften übertragen wurde. Der kritische Rationalismus ist eine andere Form des Positivismus; sein Kennzeichen ist der Verzicht auf eine Letztbegründung.
In der rechtsphilosophischen Entwicklung stehen sich von Anfang an Rechtspositivismus und Naturrecht gegenüber. Dieser Gegensatz lässt sich zurückverfolgen bis in die Anfänge der antiken Philosophie. Der Gegensatz besteht zwischen dem Positivismus der Sophisten und der Begründung des Rechts auf unwandelbaren Ideen bei Platon und Aristoteles, der sich in den Jahrhunderten der Spätantike im Schulgegensatz der Stoa und des Epikureismus fortsetzt. Im Mittelalter stützt der philosophische Realismus, zum Beispiel bei Thomas von Aquin, das Recht auf eine von Ewigkeit her bestehende Seinsordnung, die auf der göttlichen Vernunft beruht. Der Nominalismus hingegen, etwa bei Wilhelm von Occam oder Duns Scotus, leugnet eine unwandelbare Ordnung und gründet das Recht auf den unbegreiflichen (und wandelbaren) Willen Gottes nach dem Satz: Ewig ist nicht das Gesetz, sondern der Gesetzgeber. Der Rationalismus des 17. und 18. Jahrhunderts weist denselben Gegensatz auf: Das Recht wird aus obersten, allgemein gültigen, zwingenden Vernunftsätzen, gipfelnd in Kants Forderung, allgemein gültig zu handeln, entwickelt. Die Gegenmeinung leitet das Recht aus naturalistisch-empirischen Fakten her, zum Beispiel der Wolfsnatur des Menschen und dem Friedensschluss dieser Wölfe, oder aus egoistischem Kalkül, um angenehmer leben zu können. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist erfüllt vom Kampf der mehr und mehr sich zum Positivismus entwickelnden historischen Rechtsschule gegen das niedergehende rationalistische Naturrecht der Aufklärung. Und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrscht im Anschluss an die Entwicklung der Naturwissenschaft ein gesetzesgläubiger Positivismus, während die katholische Rechtsphilosophie unbeirrt an dem thomistischen Naturrechtsgedanken festhält. Und auf die totalitäre Rechtsverachtung und Rechtszerstörung des Dritten Reichs folgte schließlich eine Wiederbelebung des Naturrechts.
Als Begründer des juristischen Positivismus gilt der englische Jurist John Austin (1790-1859), der 1832 das Buch „The Province of Jurisprudence Determined” veröffentlichte. Es ist kein Zufall, dass sich der Rechtspositivismus gerade von England aus entwickelt hat. Die starke Position des Gesetzes, die auf der starken (geradezu überragenden) Stellung des Parlaments beruht und z.B. keine verfassungsgerichtliche Kontrolle kennt, ist bis heute geblieben. Kennzeichen des Rechts sind die Positivität der Gesetze
und die scharfe Unterscheidung zwischen dem Recht, wie es ist, und dem Recht, wie es sein soll. Daraus folgt zwangsläufig: No law can be unjust. Das methodische Vorgehen des Rechtspositivismus ist zumeist „analytisch” (Klärung der Bedeutung und der Funktion des Rechts; Ermittlung der bestimmenden Charakteristika eines Rechtssystems; Explikation der grundlegenden Rechtsbegriffe). Enger definiert Radbruch den Positivismus als
diejenige Richtung in der Rechtswissenschaft, die aus positivem
Recht mit rein intellektuellen Mitteln ohne eigene Wertung die Antwort aufjede juristische Frage finden zu können meine. Den Rechtsanwender treffe ein Rechtsschöpfungs- und Rechtsverweigerungsverbot. Um eine eindeutige Entscheidung auch bei Unvollkommenheit der Gesetze zu finden, diene der Rechtswissenschaft die juristische Hermeneutik. Reaktion auf diese enge Art von Positivismus war die sog. Freirechtsbewegung.
Nach den Vorstellungen des juristischen Positivismus des 19. Jahrhunderts ist nur positives Recht Recht, beansprucht das positive Recht unbedingten Gehorsam, hat sich die Auslegung des Gesetzes grundsätzlich auf die grammatisch-logische Auslegung zu beschränken. Während Savignys Volksgeistlehre noch romantisch-idealistischem Gedankengut verhaftet ist, trat ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt die Forderung nach einer positiven Methode in Erscheinung. Gerber verlangte 1852 die Übertragung der positivistischen Methode auf das Recht; das Recht sollte systematisch konstruiert und von allen nichtjuristischen Einflüssen (geschichtliche, politische, philosophische Elemente) gereinigt werden. 1888 stellte Laband fest, dass alle historischen, politischen und philosophischen Betrachtungen — so wertvoll sie auch sein mögen — für die Dogmatik eines konkreten Rechtsstoffs ohne Belang seien. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat die Rechtswissenschaft in kurzer Zeit den Wandel von romantisch-historisierendem Volksrecht über verschiedene Stadien eines Juristenrechts und Begriffspositivismus zum Gesetzespositivismus vollzogen. Die mit der Durchsetzung des positivistischen Wissenschaftsideals in der Rechtswissenschaft verbundene Trennung des Rechts von den politischen und sozialen Entwicklungen gerade in einer Zeit der sozialen Umwälzung forderte beträchtliche Kritik heraus (z. B. Otto von Gierke).
Vertreter des wissenschaftlichen Rechtspositivismus sind Karl Binding (1841-1920), Ernst Rudolf Bierling (1843-1919), Karl Bergbohm (1849-1927), Felix Somlo (1873-1920). Die bedeutendste aus dieser Richtung hervorgegangene Theorie ist die „- Reine Rechtslehre” von Kelsen (1881-1973). Das Ziel der reinen Rechtslehre ist die Gewinnung einer Rechtswissenschaft, die frei von naturwissenschaftlichen, ethischen und politischen Elementen ist, also auch frei von Moral und Naturrecht. Die reine Rechtslehre ist eine Theorie des positiven Rechts; des positiven Rechts schlechthin, nicht einer speziellen Rechtsordnung. Sie ist allgemeine Rechtslehre, nicht Interpretation nationaler oder internationaler Rechtsnormen.
Dem Rechtspositivismus in heutiger Sicht geht es vor allem um die Trennung von Recht und Moral; die Generalthese aller positivistischen Rechtstheorien lautet, dass kein notwendiger Zusammenhang zwischen Recht und Moral (Gerechtigkeit) bestehe (Dreier NJW 1986, 890). Die Gründung von Normen auf Werten und die Verbindlichkeit von Normen und deren Auslegung wird differenziert gesehen. Zutreffender Ausgangspunkt des Positivismus ist die Bedeutung
des positiven Gesetzes; insbesondere im demokratischen Verfassungsstaat ist das an den Maßstäben der Verfassung orientierte Gesetz Ausdruck des Willens des demokratisch legitimierten Verfassungs- und Gesetzgebers und daher verbindlich.
Hauptkennzeichen des Positivismus ist das staatliche Gesetz. Der Positivismus ist — so seine Befürworter — in der repräsentativen Demokratie die einzig denkbare philosophische Richtung. Der Positivismus erlaubt die Systembildung und die Prinzipienbildung durch „induktive Erweiterung” der einzelnen Normen. Der Begriff der Rechtsquelle erlaubt eine einfache Identifikation des geltenden Rechts und erspart jede weitere Frage nach der Natur des Rechts, dem Wesen des Rechts oder auch den Kriterien der Abgrenzung von Recht und Sitte, Recht und Moral.
Der Säkularismus schuf mit der staatlichen Souveränität die unerlässliche Voraussetzung des Positivismus. Das 17. und 18. Jahrhundert waren beherrscht von dem säkularen, rationalistischen Naturrecht. Mit dem Aufkommen der historischen Rechtsschule wurde dem Naturrecht ein Ende gemacht. Die historische Rechtsschule ist der konservative Protest gegen das absolute Staatstum; sie fällt dein Empirismus, dem Naturalismus und dem Rationalismus zum Opfer. So hat nur die kritische Leistung der historischen Rechtsschule Bestand: die Entmachtung des Naturrechts. Die Wendung zum Positivismus bedeutete die Absage an den Idealismus und die Metaphysik, an das Naturrecht, an den chaotischen Pluralismus widerstreitender Meinungen, die Einheit von Recht und Staat. Die Rechtswissenschaft wurde zur Wissenschaft des normativen, positiven Rechts, der Staat wurde zur Klammer und zum Exponenten der Rechtskultur.
Im Gesetzespositivismus der Weimarer Zeit steckt noch das Bewusstsein einer demokratischen Rechtsquellenlehre, nach der die inhaltliche Richtigkeit eines Gesetzes nicht durch die materiale Bindung an übergeordnetes Recht, sondern durch die demokratische Organisationsform des Gesetzgebungsverfahrens vermittelt wird. So fiihrt vormals Carl Schmitt 1935 aus: Gesetz bedeute theoretisch und praktisch völlig Verschiedenartiges, je nachdem es sich uni das Gesetz einer konstitutionellen Monarchie, eines parlamentarischen Gesetzgebungsstaates oder eines modernen Führerstaats handele. In einem Rechtsstaat, der mit dem liberalen Verfassungsstaat gleichzusetzen sei, werde das Gesetz nur durch die Mirwirkung der frei gewählten Volksvertretung und nur durch das vorgeschriebene Verfahren zu einer für alle geltenden Rechtsnorm. Ins „deutschen Rechtsstaat Adolf Hitlers” dagegen bedeute Gesetz ins Wesentlichen „Plan und Wille des Führers”, womit der hohle Gesetzesstaat überwunden sei. Und Larenz schrieb 1934: Die Erneuerung des deutschen Rechtsdenkens sei ohne eine radikale Abkehr vom Positivismus und Individualismus nicht denkbar. Daraus folgt, dass die Tendenz des nationalsozialistischen Rechtsdenkens u. a. antidemokratisch, antiliberal und antipositivistisch war. Der Rechtspositivismus sollte also gerade überwunden werden. Die Gerichtspraxis blieb von den methodischen Kontroversen eher unberührt und erreicht mit den Mitteln der Generalklausel und der Gemeinwohlformeln sowie durch Rückgriff auf die übrigen Umwertungsinstrumente praktisch jedes gewünschte Ergebnis.
Der Rechtspositivismus hat Kritik erfahren. So begreift z.B. Erik Wolf den Positivismus als Zersetzungsprozess, als Folge eines verhängnisvollen Stehenbleibens, einer Ermüdungszeit in der geistigen Selbstentfaltung, die in wachsendem Ausmaß der Mechanisierung und Materialisierung verfiel. Andere Charakterisierungen sind „Indifferenz eines Alles-Geltenlassens”, „ethisch unverbindliche Beherrschung des Fachwissens”, „enger und intoleranter Relativismus”, „leerer Skeptizismus”, „Verödung der Rechtsgeschichte”, „Verflachung der Rechtsphilosophie”, „Verfall der Geisteswissenschaften”. Die kritische Position gegenüber dem Positivismus besteht bis in die heutige Zeit. Nach Welzel bedeute diese Destruktion die Auslieferung des Rechts an die bestehende Macht; Recht sei, was von der kompetenten Behörde bestimmt werde. Diese Destruktion der menschlichen Vernunft habe eine Parallele in einem Teil der protestantischen Theologie. In der Vernunft oder dem Gewissen besitze der Mensch keinerlei Zugang zu Gut und Böse oder zur Gerechtigkeit, sondern gewinne ihn nur durch die Offenbarung und den Glaubensgehorsam. Könne man schon den Neukantianismus eine Komplementärtheorie zum Positivismus nennen, so gelte diese Kennzeichnung mit noch größerem Recht von dieser Richtung der protestantischen Theologie; sie übernehme die positivistische Dekomposition des Menschen. Positivismus und Ideologien-lehre verabsolutierten Teilelemente des Rechts und des Erkenntnisprozesses; der Positivismus mache das jedem Recht zugehörige Moment der Faktizität zu seinem einzigen Bestandteil.
Die Krise des Positivismus ist in Wahrheit eine Krise der legitimierenden Kraft des demokratischen Gemeinwillens. Diese Einsicht zwingt zu der Unterscheidung eines legitimen Positivismus, der sich selbst an unbedingte übergeordnete Rechtsgrundsätze bindet (wie etwa das Grundgesetz), von einem illegitimen Positivismus, der sich von ihnen dispensiert hat. Der Kampf gegen diesen illegitimen Positivismus ist ein Kampf gegen die Verbindlichkeit ungerechter Gesetze. Für den (legitimen) Positivismus stellt sich natürlich und unausweichlich die Frage nach der Legitimation des positiven Rechts.

wird in der Rechtslehre eine Auffassung genannt, die allein aus dem positiven Recht (dem gesetzten oder dem Gewohnheitsrecht) ausschließlich mit gedanklichen Mitteln ohne eigene Wertung zur Lösung von Rechtsfragen gelangen will. Der R. steht im Gegensatz zum Naturrecht, das als Recht die aus der menschlichen Natur abzuleitenden und vernunftmäßig erkennbaren Rechtssätze ansieht, auch wenn es (nach einer modifizierten Auffassung) zu ihrer Wirksamkeit noch eines Rechtsetzungsaktes bedarf. Der R. ist in der Rechtslehre immer wieder Gegenstand heftiger Angriffe, zumal er in seiner letzten Konsequenz die Rechtsschöpfung durch den Richter hindert, sie vielmehr nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung dem Gesetzgeber vorbehält und damit der Rechtsfortbildung durch Richterrecht im Wege steht. S. a. Radbruch\'sche Formel.




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