Begriffsjurisprudenz

Methode der Rechtsanwendung und Rechtsfindung, die sich - von der Geschlossenheit des Rechtssystems ausgehend - sehr eng an Wortlaut, Form und Typus der vom Gesetzgeber erlassenen Bestimmungen und von ihm geschaffenen Rechtsfiguren anlehnt, ohne dem Ursprung und Grundgedanken der Rechtssätze genügend Beachtung zu schenken. Der Begriffsjurist unterstellt Lebensvorgänge mechanisch den Rechtsvorschriften, bringt aber für die ethischen und wirtschaftlichen Grundlagen der Rechtssätze wenig Verständnis auf: er übersieht vor allem, dass der einzelne Rechtssatz nicht für sich besteht, sondern wie ein Stein in eine umfassende Rechtsordnung eingefügt ist (anders lnteressenjurisprudenz).

ist die Richtung der Rechtswissenschaft, die davon ausgeht, dass die Rechtsordnung grundsätzlich aus einem lückenlos geschlossenen System von Begriffen bestehe (hierarchische Begriffspyramide), aus dem allein durch logisches Vorgehen (Ableiten, Deduktion) eine Lösung jeden (neuen) Einzelfalls ermittelt werden könne. Diese im 19. Jh. besonders von Puchta vertretenen Grundsätze haben sich als fragwürdig erwiesen. Die B. wurde insbesondere angegriffen von der freien Rechtsschule und der lnteressenjurisprudenz. Lit.: Köbler, G., Ziel Wörterbuch europäischer Rechtsgeschichte, 3. A. 2005; Haferkamp, H., Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, 2004

als eine Methode der Rechtsanwendung geht von dem Grundgedanken aus, dass die Rechtsordnung in einem geschlossenen System von Begriffen besteht, das mit den Mitteln der logischen Deduktion ausgelegt wird (Laband).

Aus ihr entwickelte sich die reine Rechtslehre (Kelsen), die auf der Grundlage mathematischen Denkens die Rechtsanwendung nach der systematisch-deduktiven Methode ausrichtete. Die B. und ebenso die Kelsen\'sche Lehre bergen die Gefahr starren Rechtsdenkens in sich, behindern die rechtschöpfende Tätigkeit des Richters (Rechtsfortbildung) und können zu untragbaren Ergebnissen führen.

Im Gegensatz dazu hält die Freirechtslehre (Ehrlich) den Richter für berechtigt, den Einzelfall frei von der Bindung an generelle Vorschriften nach seinen Besonderheiten zu würdigen und zu entscheiden, um zu einem gerechten Ergebnis zu gelangen (sog. autonome Fallentscheidung); diese Lehre begründet die Gefahr willkürlicher Rechtsanwendung und wird deshalb in der Rspr. nicht mehr befolgt.

Vielmehr sind für diese heute überwiegend Gesichtspunkte der sog. Interessenjurisprudenz (Jhering, Heck, Rümelin) bestimmend. Nach ihr ist der Einzelfall in kasuistisch-empirischer Methode unter Abwägung der Interessengesichtspunkte zu entscheiden, die den Absichten des Gesetzgebers und seinen in den Rechtssätzen niedergelegten Wertungen zugrunde liegen (kausale Faktoren der Rechtsbildung); dabei ist aber auch der besonderen Interessenlage der Beteiligten im Einzelfall Rechnung zu tragen.




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