Bewertungseinheit, tatbestandliche

(tatbestandliche Handlungseinheit): Zusammenfassung mehrerer Verwirklichungen desselben Straftatbestandes zu nur einer einzigen Gesetzesverletzung. Die tatbestandliche Bewertungseinheit vereinfacht den Schuldspruch; sie ist in der Praxis häufig an die Stelle der inzwischen abgeschafften Fortsetzungstat getreten.
Als Delikts- und Fallgruppen kommen in Betracht:
— Delikte mit pauschalierender Handlungsbeschreibung. Das sind solche, deren Tathandlung schon begrifflich mehrere Willensbetätigungen umfasst.
Förderung der Prostitution, § 180a StGB, „Quälen” in §225 Abs. 1 StGB; „Nachstellen” in § 238.
— Verwandt damit sind auch die Dauerdelikte, die alle kontinuierlichen Akte erfassen, welche zur Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes dienen.
Freiheitsberaubung, § 239 StGB, Hausfriedensbruch, § 123 StGB, Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 StVG, oder eine Trunkenheitsfahrt gemäß § 315 c StGB, auch wenn es währenddessen zu zeitlich nacheinander liegenden Gefahrensituationen gekommen ist.
Mehraktige Delikte und zusammengesetzte Delikte; das sind solche, deren Verwirklichung schon ihrer Struktur nach mehre Handlungen voraussetzen.
Raub, § 249 StGB, und räuberischer Diebstahl; § 252 StGB.
— Unselbstständige Intensivierungen desselben Unrechtserfolges. Bei diesem häufigen Phänomen sind zwar durch dieselbe Handlung begrifflich mehrere identische Unrechtserfolge herbeigeführt worden, diese werden aber zu einem einheitlichen Deliktserfolg zusammengefasst.
So liegt nur ein Diebstahl vor, wenn der Täter einen Vertreterkoffer mit den Mustern verschiedener Firmen stiehlt.
— Möglich ist auch, dass verschiedene Handlungen jeweils für sich gesehen denselben Tatbestand erfüllen, dass aber alle Handlungen letztlich nur Teil eines einheitlichen Ganzen sind und deshalb bereits auf Tatbestandsebene zu nur einer einzigen Tat verschmelzen. Erster Unterfall hierzu ist die sog. iterative (= wiederholende) Tatbestandserfüllung.
Beispiele: So liegt nur eine Körperverletzung vor, wenn demselben Opfer bei einer Auseinandersetzung nacheinander mehrere Ohrfeigen verabreicht werden. Es liegt nur ein Falschgelddelikt vor, wenn der Täter nacheinander mehrere Falsifikate herstellt, ferner nur eine Falschaussage, wenn der Zeuge den Richter bei derselben Vernehmung mehrfach belügt.
— Zweiter Unterfall ist die sog. sukzessive (= fortlaufende oder „ratenweise”) Tatbestandserfüllung.
Beispiele: Nur eine einzige Bestechung kann vorliegen, wenn dem Amtsträger als Belohnung für eine bestimmte Diensthandlung der Vorteil in Teilbeträgen zugewendet wird. Der
Täter schießt viermal hintereinander auf dasselbe Opfer. Erst der letzte Schuss trifft tödlich. — Es liegen nicht etwa vier Versuche und eine Vollendung jeweils in Tatmehrheit vor, sondern nur ein einziges Delikt, nämlich vollendeter Totschlag.
Als tatsächliche Voraussetzung für die Bildung einer tatbestandlichen Bewertungseinheit verlangt die Rspr. einen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang der Tatausfiihrung bei einheitlicher, auf denselben Erfolg gerichteter Motivationslage.
Da diese Kriterien der natürlichen Handlungseinheit entlehnt sind, die die Judikatur für die Begründung der Tateinheit entwickelt hat, ist eine Bewertungseinheit bei Vorliegen einer solchen natürlichen Handlungseinheit möglich.
Aber auch darüber hinaus erkennt die Rspr. inzwischen eine Tat im Rechtssinne” an, wenn die der Tatbestandsvollendung dienenden Teilakte zwar über den engen Rahmen einer natürlichen Handlungseinheit hinausgehen, aber durchgängig von einem einheitlichen deliktischen Ziel getragen sind und unselbstständige Teilakte eines Versuchsgeschehens sind. Maßgeblich dafür sind die Kriterien der für den Rücktritt vom Versuch geltenden Gesamtbetrachtungslehre:
Die tatbestandliche Handlungseinheit etwa einer Erpressung endet danach dort, wo der Täter nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann, weil er nur nach zeitlicher Zäsur weitermachen zu können glaubt (= Fehlschlag) oder weil er sein Ziel vollständig erreicht hat (BGH NJW 1996, 936 im „Dagobert-Fall”).
Eine Bewertungseinheit ist dagegen regelmäßig ausgeschlossen, wenn es um höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutträger geht. Denn bei solchen Rechtsgütern ist das tatbestandliche Unrecht einer „quantitativen Steigerung”, also einer Addition schon nicht zugänglich.
Schießt also der Amokschütze nacheinander auf vier vorbeifahrende Autos, so liegen — trotz zeitlicher Nähe — vier verschiedene Tötungsversuche vor.
Nur bei zeitlich ganz engen Abläufen und mehreren Angriffen auf eine nicht individualisierte Personenmehrheit hat die Rspr. — ausnahmsweise — eine natürliche Handlungseinheit bejaht.




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