maßgeblicher Zeitpunkt

(entscheidungserheblicher Zeitpunkt), Verwaltungsprozessrecht: Zeitpunkt, der für die verwaltungsgerichtliche bzw. verwaltungsbehördliche Entscheidung maßgeblich ist, wenn sich im Laufe des Verfahrens der Sachverhalt oder die rechtlichen Vorschriften geändert haben. Entscheidend hierfür ist nach neuerer Rspr. nicht das Prozess- und Verfahrensrecht, sondern allein das materielle Recht. Im Einzelnen ist hier vieles streitig, allerdings haben sich Faustregeln entwickelt, die an die jeweilige Klageart anknüpfen.
Bei einer Anfechtungsklage ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen. Dies ist in der Regel die Widerspruchsentscheidung oder — wenn ein Vorverfahren nicht stattfindet — der Erlass des Verwaltungsaktes. Dies wird damit begründet, dass es bei der Anfechtungsklage um die Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung geht und Gegenstand der Anfechtungsklage gern. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwG() grundsätzlich der Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist. Eine Ausnahme kann sich jedoch aus der Art des Verwaltungsaktes oder aus dem materiellen Recht ergeben. So sind nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen, wenn es sich um Dauerverwaltungsakte handelt (da diese während der gesamten Dauer ihrer Geltung von der Sach- und Rechtslage gerechtfertigt sein müssen, z. B. die Ausweisung eines Ausländers). Allerdings wird hiervon wieder eine Rückausnahme gemacht, wenn für nachträgliche Änderungen eine besondere gesetzliche Regelung besteht. So ist die Untersagung der Gewerbeausübung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 GewO zwar ein Dauerverwaltungsakt, nachträgliche Änderungen sind indes dem Wiedergestattungsverfahren nach § 35 Abs. 6 GewO vorbehalten. Stellt sich im Laufe der Anfechtungsklage gegen die Untersag-ungsverfügung heraus, dass der Gewerbetreibende mittlerweile nicht mehr unzuverlässig ist, darf dieser
Umstand vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden, da ansonsten das Verfahren nach § 35 Abs. 6 GewO umgangen würde.
Bei der Verpflichtungsklage und der allgemeinen Leistungsklage kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem VG an, da entscheidend ist, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch hat. Nach h. M. ist jedoch ausnahmsweise auf die letzte behördliche Entscheidung oder sogar auf die Antragstellung abzustellen, wenn sich dies aus der Art des Verwaltungsaktes oder aus einer besonderen gesetzlichen Regelung ergibt. Dies gilt z. B. bei
Verwaltungsakten, die für bestimmte Zeitabschnitte gewährt werden, da es für die Rechtmäßigkeit allein darauf ankommen kann, ob die Voraussetzungen zu dem jeweiligen Zeitabschnitt vorlagen;
Prüfungsentscheidungen oder ähnlichen Verwaltungsakten, die auf die Qualifikation des Betroffenen im Prüfungszeitpunkt abstellen;
— grundrechtskräftig verfestigten Ansprüchen (z. B. dürfen Verschärfungen von Berufszulassungsregeln während des Prozesses wegen Art. 12 GG nicht berücksichtigt werden).
Bei Feststellungsklagen hängt der entscheidungserhebliche Zeitpunkt von dem streitigen Rechtsverhältnis ab, je nachdem ob es sich um ein gegenwärtiges, vergangenes oder zukünftiges Rechtsverhältnis handelt.
Im Widerspruchsverfahren ist entscheidungserheblicher Zeitpunkt grundsätzlich die Widerspruchsentscheidung. Dies folgt bereits aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, wonach der Gegenstand der Anfechtungsklage der Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist. Daher sind Anderungen der Sach- und Rechtslage während des Widerspruchsverfahren grds. zu berücksichtigen. Dies gilt allerdings nicht beim Drittwiderspruch des Nachbarn gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung. Wegen Art. 14 GG darf dem Begünstigten eine ihm im Zeitpunkt des Erlasses der Genehmigung zustehende Rechtsposition nicht nachträglich ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage entzogen werden dürfe. Da die §§ 68 ff. VwG() keine entsprechende Regelung enthalten, dürfen hier Anderungen zum Nachteil des Bauherrn nicht berücksichtigt werden (aber selbstverständlich solche, die sich zu seinem Vorteil auswirken). Diese Ausnahme gilt allerdings nicht generell bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung. So sind bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach §§ 4, 6 BlinSchG nachträgliche Anderungen generell zu berücksichtigen, da diese die Behörde auch zu nachträglichen Anordnungen nach § 17 BImSchG berechtigen würden.




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