Arbeitsverhinderung

Im Arbeitsrecht :

. I. Im allgemeinen Schuldrecht gilt der Grundsatz, dass der Schuldner von seiner Verpflichtung frei wird, wenn ihm die Leistung aus Gründen unmöglich wird. die weder er noch der Gläubiger zu vertreten hat (§ 275 BGB). Er verliert aber auch seinen Anspruch auf Gegenleistung (§ 323 BGB). Von dem Grundsatz “Arbeit gegen Entgelt” macht § 616 I 1 BGB eine Ausnahme. Hiernach hat der AN einen Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitsvergütung, wenn er aus in seiner Person liegenden Gründen ohne sein Verschulden für eine nicht erhebliche Zeit an seiner Dienstleistung verhindert ist. § 616 I 1 BGB kann trotz seines sozialen Schutzcharakters durch Einzelarbeitsvertrag o. kollektivrechtliche Vereinbarung eingeschränkt o. ausgeschlossen werden (AP 8, 21, 23 zu § 616 BGB; AP 1 zu § 26 ArbGG 1979; AP 1 zu § 29 BMT-G II = NZA 86, 784, ständig). Ein Ausschluss liegt insbes. vor, wenn ein Tarifvertrag bestimmt, dass nur die wirklich geleistete Arbeitszeit bezahlt wird o. wenn in ihm enumerativ die Tatbestände aufgezählt werden, in denen ein Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitsvergütung besteht. Während bei Tarifverträgen im allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass die Tarifpartner bei Ausschluss des Anspr. aus § 616 I 1 BGB einen sachgemässen Interessenausgleich vorgenommen haben, ist dies bei einzelvertraglichem Ausschluss nicht immer der Fall. Nach umstr. Meinung ist die Abdingung nicht nur dann unwirksam, wenn gegen § 138 BGB verstossen wurde (Sittenwidrigkeit), sondern auch, wenn sie offenbar ungerecht o. unbillig ist u. vermuten lässt, dass der Benachteiligte ihr nur unter Druck o. Unkenntnis seines gesetzl. Dispositivrechts zugestimmt hat.
II. Der Anspruch aus § 616 I 1 BGB setzt voraus, dass während der vor o. nach Dienstantritt eintretenden A. ein Arbeitsverhältnis besteht. Ruhen seine Hauptpflichten, z. B. nach §§ 3, 6 MSchG, § 1 I ArbPISchG, so besteht auch kein Anspruch nach § 616 BGB. Dasselbe gilt während des Urlaubs (AP 1 zu § 18 BAT = NJW 86, 1066). Grundsätzlich besteht auch ein Anspruch in einem faktischen Arbeitsverhältnis bis seine Beendigung erklärt wird. Der Grund der A. muss in der Person o. in den persönl. Verhältnissen des AN liegen (AP 58 zu § 616 BGB). Eine A. ist gegeben, wenn dem AN die Arbeitsleistung tatsächl. unmöglich wird o. ihm wegen anderweitiger, sittlicher o. rechtlicher Pflichten unter Berücksichtigung seiner Treuepflicht u. der Interessen des AG nicht zugemutet werden kann (AP 23), z. B. Ausübung öffentl.-rechtl., (Schulung als ehrenamtl. Richter: AP 1 zu § 26 ArbGG 1979; Tätigkeit im Beirat für Landespflege AP 60 zu § 616 BGB; Wahrnehmung eigener Gerichtstermine: AP 1 zu § 29 BMT-G II = NZA 86, 784); Tätigkeit im Prüfungsausschuss einer IHK: NZA 92, 464 = BB 92, 1140 = DB 92, 691); gewerkschaftlicher (AP 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Banken; AP 5 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbusse = DB 83, 2695; AP 67 zu § 616 BGB) o. religiöser Pflichten, Familienereignisse wie eigene Eheschliessung (Aufteilung von zwei Tagen auf standesamtl. u. kirchl. Eheschliessung (AP 61 zu § 616 BGB = NJW 83, 2600), Niederkunft der Ehefrau, auch wenn in Spanien (AP 44 zu § 616 BGB; DB 75, 1179; einschränkend bei Lebensgefährtin: AP 3 zu § 52 BAT = NJW 87, 271), schwere Krankheit der Ehefrau o. Kinder (BB 77, 1651), Tod o. Begräbnis naher Familienangehöriger, goldene Hochzeit der Eltern (AP 43, 55 zu § 616 BGB), Erstkommunion eines Kindes (v. 11. 2. 93 - 6 AZR 98/92 - NZA 93, 1003), Wohnungsumzug, seuchenpolizeiliche Beschäftigungsverbote (BGH NJW 79, 422, 1400; AP 6 zu § 6 LohnFG), Arztbesuche (AP 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = BB 84, 1046; AP 64 zu § 616 BGB -= NJW 84, 2720 = DB 84, 1687; AP 83; AP 84 = NZA 90, 894 = DB 90, 2072), arbeitsmedizinische Untersuchungen (AP 69 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau = NJW 86, 2903) usw. Insbesondere besteht dann ein Anspruch, wenn ein im Haushalt des AN lebendes Kind unter zwölf Jahren wegen einer Erkrankung nach ärztlichem Zeugnis der Beaufsichtigung, Betreuung o. Pflege bedarf, weil eine andere im Haushalt des AN lebende Person hierfür nicht zur Verfügung steht. Insoweit gilt im allgemeinen ein Zeitraum von zehn Tagen nicht als erheblich (AP 48 zu § 616 BGB, AP 35 zu § 63 HGB). Ob der Anspruch wiederholt gegeben ist, ist umstr. Eine ärztliche Bescheinigung genügt idR. für den Nachweis, dass ein erkranktes Kind der Pflege bedarf (AP 50 zu § 616 BGB). Beide Elternteile können wählen, wer die Pflege übernimmt (AP 50 zu § 616 BGB). Besteht kein Anspruch nach § 616, kann ein Anspruch auf Krankengeld gegeben sein (§ 45 SGB V). Die Bezugsberechtigung ist im Sozialversicherungsrecht stark erweitert worden; insoweit wird dies aber auch auf das Arbeitsrecht durchschlagen (Erasmy NZA 92, 921). Der Entgelt-
fortzahlungsanspruch wegen Erkrankung des Kindes richtet sich für Arbeiter und Angestellte ausschliesslich nach § 616 BGB. Hieraus folgt, dass durch Tarifvertrag der Anspruch näher ausgestaltet o. abgedungen werden kann (AP 49, 51 zu § 616 BGB, unter teilweiser Aufgabe von AP 35 zu § 63 HGB). Durch das Tatbestandsmerkmal “schwere Erkrankung” in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes hat jedoch der Anspruch nicht eingeschränkt werden sollen (AP 1 zu § 33 MTL II). Eine persönl. A. wird auch dann noch angenommen, wenn für den einzelnen AN ein obj. Leistungshindernis besteht, Verspätung öffentl. Verkehrsmittel, wenn er davon abhängig ist. Dagegen ist sie dann nicht gegeben, wenn von dem obj. Leistungshindernis alle oder eine Vielzahl von AN betroffen werden. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der AN infolge Glatteises (AP 58, 59 zu § 616 BGB) o. Smog-Alarm (Dossow BB 88, 2455; Richardi NJW 87, 1231; Schumacher ZTR 87, 140) die Arbeit nicht erreichen kann. Die A. muss unverschuldet sein. Den AG trifft die Beweislast für ein Verschulden. Nach h. M. ist die A. verschuldet, wenn ein verständiger Mensch sie im eigenen Interesse vermieden hätte, wenn sie auf einem gröbl. Fehlverhalten des AN beruht, z.B. Aufspringen auf ein öffentl. Verkehrsmittel, seine Versäumung, Verbüssung von Freiheitsstrafen, nicht dagegen unverschuldet erlittene Untersuchungshaft. Die A. darf nicht von erhebl. Dauer sein; anderenfalls entfällt auch der Anspruch für die unerhebl. Zeit. Welche Zeit als verhältnismässig nicht erhebl. anzusehen ist, muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Dabei kommt es auf die Dauer der A. im Verhältnis zur Gesamtdauer der Beschäftigung an. Faustregel: Unerhebl. Arbeitsversäumnis bei Beschäftigung bis zu 6 Mon.: 3 Tage, bis zu 12 Mon.: 1 Woche, länger als 1 J.: 2 Wochen. Der AN hat sie dem AG unverzügl. zu melden, andernfalls eine--s Kündigung gerechtfertigt sein kann. S. a. Krankmeldung.
III. § 616 I 1 BGB wird ergänzt durch eine Reihe von Sondervorschriften: §§ 63 HGB, 133c GewO, 48 SeemannsG, 12I BBiG. Sind die Voraussetzungen dieser Normen nicht gegeben, so kann immer noch ein Anspruch nach § 616 I 1 BGB bestehen. Kaufmänn., gewerbl. o. Bergbauangestellte haben Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitsvergütung für die Dauer von 6 Wochen, wenn sie durch unverschuldetes Unglück an der Arbeitsleistung verhindert sind. Unglück sind alle ungünstigen Ereignisse, die Anlass o. unmittelbare Grundursache für die A. sind, z.B.: Erkrankung, Todesfall in der Familie. Kein Unglück ist die Erfüllung staatsbürgerl. o. öffentl.rechtl. Pflichten (lange Sitzungsdauer eines Schöffengerichts).
IV. Zu den persönl. A. gehört vor allem Krankheit des AN; hierzu Krankenvergütung.
V. Beruht die A. auf einem Verschulden des AG o. seiner Erfüllungsgehilfen (Gestellung schadhafter Werkzeuge, schlechte Beheizung), so steht dem AN während der gesamten Dauer der A. die Zahlung der Arbeitsvergütung zu (§ 325 BGB). Jedoch ist die Haftung des AG bei Arbeitsunfall eingeschränkt.

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Pflegezeit.




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