Jugendstrafrecht

das im Jugendgerichtsgesetz geregelte, speziell für Jugendliche und teilweise auch für Heranwachsende geltende Straf- und Strafprozeßrecht. Sieht als Folgen bei Verfehlungen Jugendlicher Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder Jugendstrafe vor. Verfahren vor besonderen Jugendgerichten.

ist das bei Straftaten Jugendlicher - und Heranwachsender - anzuwendende Recht. Das J. ist Täterstrafrecht und sieht als Folgen der Verfehlungen Jugendlicher Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder Jugendstrafe vor. Das vor allem in den §§ 33-81 und 107-109 JGG geordnete, - nichtöffentliche - Verfahren ist vor dem besonderen Jugendgericht durchzuführen. Lit.: Albrecht, R, Jugendstrafrecht, 3. A. 2000; Kaiser, G./Schöch, H., Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 6. A. 2006; Eisenberg, U., Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, I.A. 2004; Zieger, M., Verteidigung in Jugendstrafsachen, 4. A. 2002; Meier, A. /Rössner, D./Schöch, H., Jugendstrafrecht, 2. A.: 2006; Böhm/Feuerhelm, Einführung in das Ju- genstrafrecht, 4. A. 2004

Sonderstrafrecht für junge Täter, die sich zur Zeit ihrer Tat in dem kritischen Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsenenalter befinden. Es enthält die Summe derjenigen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Sondervorschriften, welche die rechtliche Reaktion auf die Straftaten solcher Täter mit Rücksicht auf die Besonderheiten jenes Entwicklungsstadiums abweichend von denen des allgemeinen Strafrechts regeln.
Der persönliche Geltungsbereich des Jugendstrafrechts erstreckt sich gemäß § 1 Abs. 2 JGG auf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren bzw. auf Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren (Altersstufen). Bei Zweifeln über das Alter zur Tatzeit gilt der Grundsatz in dubio pro reo für die niedrigere Altersstufe. Auch wenn zweifelhaft ist, ob die Voraussetzungen des § 105 JGG [ Heranwachsende] vorliegen, soll nach der Rechtsprechung Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen. Dieser allgemeine Grundsatz ist allerdings deshalb problematisch, weil sich im Einzelfall für den Heranwachsenden daraus einschneidendere Rechtsfolgen ergeben können, als bei der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht.
Der sachliche Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts umfasst Verfehlungen, die nach allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht sind. Unter Verfehlungen sind Vergehen und Verbrechen zu verstehen, die nach dem StGB oder einem Nebengesetz mit echter Kriminalstrafe bedroht sind. Deshalb fallen unter das JGG nicht Ordnungswidrigkeiten oder Verhalten, für welches Ordnungs- oder Zwangsmittel vorgesehen sind.
Die allgemeinen Vorschriften (insbes. StGB und StPO) gelten jedoch subsidiär, soweit das JGG keine spezielle Regelung trifft (§ 2 JGG).
§ 3 JGG normiert einen speziellen Schuldausschließungsgrund für Jugendliche (nicht Heranwachsende), der neben den des § 20 StGB tritt. Anders als im Erwachsenenstrafrecht, bei dem man grundsätzlich von der Strafmündigkeit ausgeht, muss bei Jugendlichen die Strafmündigkeit immer positiv festgestellt werden. § 3 JGG stellt daher einen besonderen Schuldausschließungsgrund dar, wenn der Jugendliche
- keine Einsichtsfähigkeit und dadurch
- keine Handlungsfähigkeit besitzt,
die auf einer Verzögerung seiner sittlichen und geistigen Entwicklung beruht. Die unabgeschlossene Entwicklung stellt damit den biologischen Grund dar, weshalb der Jugendliche zu einer Einsichts- und Handlungsfähigkeit psychologisch nicht in der Lage ist (biologisch-psychologische Methode).
Die Einsichtsfähigkeit befähigt den Jugendlichen zu der Erkenntnis, dass sein Verhalten mit einem geordneten und friedlichen Zusammenleben der Menschen unvereinbar ist und deshalb von der Rechtsordnung nicht geduldet werden kann.
Eine Handlungsfähigkeit fehlt dann, wenn der Jugendliche zwar die Einsichtsfähigkeit besitzt, der Stand der charakterlichen Reife es aber nicht zulässt, dass diese Erkenntnis sich im Kampf der Motive als das sein Verhalten bestimmende Gegenmotiv durchsetzt. So können einzelne Triebe und Reize von so elementarer Kraft sein, dass sie das Übergewicht behaupten.
Die Rechtsfolgen divergieren im Rahmen des Jugendstrafrechts vom Erwachsenenstrafrecht. Dieser Unterschied resultiert insbesondere aus dem Erziehungsgedanken, welcher dem Jugendstrafrecht innewohnt. Das Gesetz sieht eine Dreiteilung der Rechtsfolgen vor:
1) Erziehungsmaßregeln
2) Zuchtmittel
3) Jugendstrafe
Im Schrifttum ist eine Differenzierung nach
1) ambulanten Maßnahmen
a) Verwarnung
b) Auflage
c) Weisungen
d) Erziehungsbeistandschaft und
2) stationären Maßnahmen
a) Jugendarrest
b) Erziehungshilfe gem. § 12 Nr. 2 JGG
c) Jugendstrafe
üblich.
Da die meisten Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts erhebliche Eingriffe in das Erziehungsrecht der Eltern darstellen und deren Mithilfe für das Erziehungsziel unerlässlich ist, trifft die Eltern eine Anwesenheitspflicht, deren Nichtbefolgung wie bei Zeugen geahndet werden kann (§ 50 Abs. 2 JGG). Jedoch haben sie auch das Recht auf Gehör, dürfen Fragen und Anträge stellen sowie bei Untersuchungsmaßnahmen anwesend sein. Auch ist die Anklageschrift an sie zu richten. (§ 67 JGG)

Für die Strafbarkeit und die Verurteilung von Straftätern, die zur Tatzeit noch nicht 21 Jahre alt waren, gilt das allgemeine Straf- und Strafprozessrecht nur, soweit nicht das Jugendgerichtsgesetz i. d. F. vom 11. 12. 1974 (BGBl. I 3427) m. Änd. Sondervorschriften enthält. Die Anwendung des J. soll vor allem erneuten Straftaten entgegenwirken. Deshalb sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten (§ 2 JGG).

1.
Nach §§ 1, 3 JGG sind Jugendliche (zur Tatzeit 14-, aber noch nicht 18-Jährige) nur bedingt verantwortlich, nämlich soweit sie ihrer Entwicklung nach die erforderliche Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit besaßen. Heranwachsende (zur Tatzeit 18-, aber noch nicht 21-Jährige) sind voll verantwortlich. Kinder (zur Tatzeit noch nicht 14-Jährige) sind strafrechtlich überhaupt nicht verantwortlich (§ 19 StGB). Während bei Jugendlichen stets das mildere Jugendstrafrecht anzuwenden ist, entscheidet beim Heranwachsenden das Gericht im Einzelfall, ob der Täter nach seinem Reifegrad oder der Art seiner Tat noch einem Jugendlichen gleichzustellen und daher nach J. abzuurteilen oder ob er wie ein Erwachsener nach allgemeinem Strafrecht zu bestrafen ist (§ 105 JGG; im Einzelnen s. Jugendliche und Heranwachsende).

2.
Eine nach J. zu beurteilende „Jugendstraftat“ ist in erster Linie durch Erziehungsmaßregeln zu ahnden; zu diesen gehört die Erteilung von Weisungen für die Lebensführung, z. B. Annahme einer Arbeitsstelle, Erbringung von Arbeitsleistungen, Betreuung und Aufsicht durch einen Betreuungshelfer, Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder Verkehrsunterricht, Bemühung um einen Täter-Opfer-Ausgleich; ferner die Anordnung zu Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung durch eine Erziehungsbeistandschaft oder in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform. Reichen Erziehungsmaßregeln nicht aus, können Zuchtmittel angewendet werden, nämlich Verwarnung, Erteilung von Auflagen - z. B. Schadenswiedergutmachung, Bußzahlung an eine gemeinnützige Einrichtung, Erbringung von Arbeitsleistungen - oder Jugendarrest. Nur wenn auch Zuchtmittel nicht ausreichen, weil die Straftat schädliche Neigungen des Jugendlichen offenbart hat, oder bei besonders schwerer Tatschuld wird Jugendstrafe verhängt (§§ 5, 9 ff. JGG; über Aussetzung der Jugendstrafe oder des Strafausspruchs Jugendstrafe). Nicht verhängt werden dürfen nach §§ 6, 7 JGG: Amtsunfähigkeit, Wahlrechtsverlust; von den Maßregeln der Besserung und Sicherung sind nur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, Führungsaufsicht und Entziehung der Fahrerlaubnis zugelassen (nicht Sicherungsverwahrung, Berufsverbot). Sicherungsverwahrung kann aber unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich angeordnet werden (§ 7 II JGG). Sondervorschriften gelten nach §§ 112 a ff. JGG bei jugendlichen Soldaten der Bundeswehr (Erziehungshilfe durch den Disziplinarvorgesetzten als Erziehungsmaßregel; keine Hilfe zur Erziehung).

3.
Als Jugendgericht wird grundsätzlich das Jugendschöffengericht (Strafrichter, zwei Jugendschöffen) tätig; doch kann der Staatsanwalt, wenn nur Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zu erwarten sind, die Anklage vor dem Jugendrichter (Einzelrichter) erheben. Die Jugendkammer entscheidet anstelle des Schwurgerichts; sie ist ferner zuständig, wenn sie eine ihr vom Jugendschöffengericht ihres Umfangs wegen vorgelegte Sache übernimmt, wenn die Sache gegen Jugendliche und Erwachsene verbunden ist und für die Erwachsenen die Große Strafkammer zuständig wäre, wenn die Staatsanwaltschaft wegen der Schutzbedürftigkeit von verletzten Zeugen Anklage bei der Jugendkammer erhebt oder wenn gegen einen Heranwachsenden nicht die Verhängung von Jugendstrafe, sondern Freiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist. Sie ist als Große Jugendkammer grundsätzlich mit 3 Richtern und 2 Schöffen besetzt; sie soll aber zunächst bis 31. 12. 2011 in der Hauptverhandlung mit 2 Richtern und 2 Schöffen entscheiden, wenn sie nicht als Schwurgericht zuständig ist oder wegen der Schwierigkeit ein dritter Richter notwendig ist (§§ 33-33 b, 39-41, 108 III 2 JGG). Außerdem entscheidet sie als Kleine Jugendkammer (1 Richter, 2 Schöffen) über Berufungen gegen Urteile des Jugendrichters und als Große Jugendkammer (3 Richter, 2 Schöffen) über Berufungen gegen Urteile des Jugendschöffengerichts. Von der Jugendkammer zu unterscheiden ist die Jugendschutzkammer (§ 74 b GVG); sie ist für schwerere Straftaten Erwachsener in Jugendschutzsachen zuständig. Ausgenommen von der Zuständigkeit der Jugendgerichte sind Hoch- und Landesverrat u. a. Staatsschutzsachen, die im ersten Rechtszuge vor das Oberlandesgericht oder die Strafkammer nach § 74 a GVG - sog. Staatsschutzkammer - gehören (§ 102 JGG). Zu Jugendstaatsanwälten werden besondere Staatsanwälte bestimmt, die - ebenso wie die Jugendrichter - erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein sollen (§§ 36, 37 JGG).

4.
Das Jugendstrafverfahren (§§ 43-81 JGG) weicht vom allgemeinen Strafprozess erheblich ab. Um den Jugendlichen durch das Verfahren möglichst wenig zu belasten, kann der Richter mit Zustimmung des Staatsanwalts ohne voraufgegangene Anklage (§ 45 JGG), nach Anklage ohne Hauptverhandlung und Urteil (§ 47 JGG) leichtere Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel durch Beschluss anordnen, wenn diese ausreichen. Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich (§ 48 JGG). Gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte haben ein Recht auf Anhörung, insbes. in der Hauptverhandlung. Ein Recht zur Anwesenheit haben auch der Verletzte und sein Erziehungsberechtigter oder sein gesetzlicher Vertreter. Ferner wirkt die Jugendgerichtshilfe mit, um die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen. Das Rechtsmittelverfahren ist eingeschränkt, um die strafrechtlichen Folgen der Tat möglichst bald wirksam werden zu lassen: Wer gegen ein Urteil Berufung eingelegt hat, kann nicht mehr Revision einlegen (§ 55 II JGG). Im vereinfachten Jugendverfahren kann auf Grund eines Antrags des StA ohne Anklage im Urteilsverfahren entschieden werden, wenn nur Weisungen, Hilfe zur Erziehung durch Erziehungsbeistandschaft, Zuchtmittel, Fahrverbot, Einziehung oder Verfall zu erwarten sind (§ 76 JGG). Untersuchungshaft ist nur beschränkt zulässig und soll möglichst durch mildere Maßnahmen ersetzt werden, etwa durch Einweisung in ein Heim der Jugendhilfe; diese kann auch angeordnet werden, um den Jugendlichen vor einer weiteren Gefährdung seiner Entwicklung zu bewahren (§§ 72, 71 II JGG). Die Vorschriften des Jugendstrafverfahrens gelten grundsätzlich auch im Verfahren gegen Heranwachsende; nicht anwendbar sind z. B. die Bestimmungen über die Nichtöffentlichkeit, das vereinfachte Jugendverfahren und die Einweisung in ein Erziehungsheim. Ein Strafbefehl ist gegen einen Jugendlichen unzulässig, ebenso Privatklage; bei Heranwachsenden ist nur ein Strafbefehl, durch den Freiheitsstrafe verhängt wird, unzulässig (§§ 79, 80, 109 JGG). Nebenklage ist gegen einen Jugendlichen nur bei bestimmten Verbrechen zulässig. Im Strafregister werden nur Verurteilungen zu Jugendstrafe vermerkt; Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel werden im Erziehungsregister eingetragen. Verwaltungsvorschriften für die Staatsanwaltschaft zur Durchführung des Verfahrens enthalten die Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz (RiJGG) i. d. F. vom 1. 8. 1994.

5.
S. ferner Einheitsstrafe, Beseitigung des Strafmakels.




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