Fahrlässigkeit

Fahrlässig handelt, wer einen im Strafgesetzbuch beschriebenen Tatbestand erfüllt, ohne dies gewollt oder erkannt zu haben. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit:

* Bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand zwar erkennt, dass er eventuell eine Straftat begeht, aber gleichzeitig darauf hofft, die rechtswidrige Folge möge nicht eintreten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Mann während eines Ehestreits seine Frau lediglich erschrecken möchte, indem er durch die geschlossene Tür des Badezimmers schießt, in dem sie sich befindet.

* Unbewusst fahrlässig handelt, wer nicht voraussieht, dass er einen Tatbestand erfüllt, obwohl er den Umständen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen nach dazu in der Lage wäre. Das trifft etwa auf einen Kraftfahrer zu, der infolge überhöhter Geschwindigkeit mit seinem Wagen von der Straße abkommt und gegen einen Baum prallt, wodurch der Beifahrer getötet wird.

In manchen Tatbeständen ist auch leichtfertiges Handeln unter Strafe gestellt. Darunter versteht man einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit. Der Täter verkennt hier grob achtlos, dass er den Tatbestand verwirklicht. Die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit stellt sich in der Praxis häufig äußerst schwierig dar. Ein Beispiel zur Verdeutlichung des Problems: Es ist Nacht und ein flüchtender Straftäter schießt zur Abschreckung in Richtung seiner Verfolger. Vertraut er darauf, niemanden zu treffen, dann ist von Fahrlässigkeit auszugehen. Falls er jedoch auf die Gefahr hin feuert, jemanden zu verletzen oder gar zu töten, dann muss man ihm einen bedingten Vorsatz zur Last legen. Die Abgrenzung kann auch im Wege einer nachträglichen Betrachtung geschehen: Hätte der Täter auch dann geschossen, wenn er von vornherein gewusst hätte, dass er eine andere Person verletzen würde, so hat er vorsätzlich gehandelt. Hätte er unter diesen Umständen seine Waffe nicht eingesetzt, ist ihm Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

§ 15 StGB
Siehe auch Vorsatz

Die leichtere Form der Schuld (des Verschuldens). Sie liegt vor, wenn ein Schuldner im Zivilrecht «die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt» (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Im Strafrecht muß hinzukommen , daß der Täter dies auch erkannt hat (bewußte Fahrlässigkeit) oder «bei zumutbarer Anspannung seines Gewissens» erkennen konnte (unbewußte Fahrlässigkeit). Innerhalb der Fahrlässigkeit wird noch einmal unterschieden zwischen grober Fahrlässigkeit (im Strafrecht Leichtfertigkeit genannt) und leichter Fahrlässigkeit. Im Zivilrecht gibt es außerdem noch den Begriff der «eigenüblichen Sorgfalt», bei der kein objektiver Maßstab angelegt wird, sondern vom Schuldner nur verlangt wird, daß er die Sorgfalt anwendet, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (§277 BGB). Anders als beim Vorsatz, für dessen Folgen man immer einstehen muß, führt ein fahrlässiges Handeln nicht immer dazu, daß (im Zivilrecht) ein Schuldner Schadensersatz leisten muß oder (im Strafrecht) ein Täter bestraft wird. Im Zivilrecht gibt es Fälle, in denen der Schuldner nur für eine eigenübliche Sorgfalt einstehen muß (z.B. innerhalb einer Gesellschaft oder bei einer unentgeltlichen Verwahrung) , oder solche, bei denen er nur für grob fahrlässiges Handeln einstehen muß (z.B. beim Auftrag oder bei der Schenkung). Im Strafrecht wird der Täter im allgemeinen leichter bestraft, wenn er nur fahrlässig gehandelt hat.

(§ 276 I 2 BGB) ist das Außeracht-lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. § 276 BGB gilt seinem Wortlaut nach zwar nur für das Vertretenmüssen innerhalb eines Schuldverhältnisses, wird jedoch darüber hinaus allgemein auf das Verschulden (z.B. bei § 823 I BGB) angewandt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Handelnde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer acht läßt, wenn er also das nicht beachtet, was in der konkreten Situation jedem einleuchten mußte. Im Zivilrecht gilt kein individueller, sondern ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiver Sorgfaltsmaßstab, wobei der Sorgfaltsmaßstab bei den einzelnen Berufen und Tätigkeitsfeldern Konkretisierungen erfahren hat.

ist gegenüber Vorsatz die geringere Schuld form; a) Strafrecht: fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt ausser acht lässt, zu der er nach den Umständen u. nach seinen persönlichen Kenntnissen u. Fähigkeiten verpflichtet u. fähig ist u. deshalb einen von der Rechtsordnung missbilligten Erfolg nicht vorhergesehen hat (= unbewusste Fahrlässigkeit) od. den Eintritt dieses Erfolges zwar für möglich hält, aber darauf vertraut (hofft), er werde vermieden werden können (= bewusste Fahrlässigkeit). - b) Zivilrecht: fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ausser acht lässt (§ 276 BGB); auch hier wird zwischen bewusster u. unbewusster Fahrlässigkeit unterschieden. Das Zivilrecht kennt als Unterfall der Fahrlässigkeit: Anwendung der Sorgfalt, die jemand in eigener Angelegenheit anzuwenden pflegt (= diligentia quam in suis, Sorgfalt wie in eigenen Angelegenheiten: z.B. bei unentgeltlicher Verwahrung, zw. Ehegatten, bei Eltern). - Bewusste od. unbewusste, leichte, grobe Fahrlässigkeit sind für Bestrafung (Ahndung mit Geldbusse) od. für zivilrechtl. Haftung dem Grunde nach ohne Bedeutung. Je geringer die Fahrlässigkeit ist, desto niedriger wird die Strafe sein und desto eher wird ein Strafverfahren wegen geringem Verschulden nach § 153 StPO (Bussgeldverfahren nach § 47 OWiG) eingestellt werden können; im Zivilrecht ist der Grad der Fahrlässigkeit dann entscheidend, wenn mehrere bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt haben u. zu entscheiden ist, wen die überwiegende Schuld trifft (vgl. § 254 BGB), wovon Umfang der Schadenersatzleistung abhängt, Mitverschulden.

Verschulden; Schuld.

Im Arbeitsrecht:

ist eine Verschuldensform, die Ausserachtlassung der im Verkehr erforderl. Sorgfalt (§ 276I 2 BGB). Es wird auf ein obj. abstraktes Mass, dagegen nicht auf die Person abgestellt. Zu unterscheiden sind Arten (bewusste: Täter hat mit Erfolgsaussicht gerechnet, aber fahrl. auf Nichteintritt gehofft; unbewusste: Erfolgsmöglichkeit fahrl. nicht erkannt) sowie Grade der F. (leichte, mittlere, grobe F. BGH NJW 92, 2418). Bei grober E. (Vernachlässigung einer jedem einleuchtenden Sorgfalt) werden im Arbeitsrecht auch subj. Momente berücksichtigt. Haftung des AN.

ist im Privatrecht (§ 276 II BGB) die Außerachtlassung der im Verkehr objektiv - im Verkehrskreis des Handelnden - erforderlichen Sorgfalt. Im Strafrecht bedeutet F. den Vorwurf, dass der Täter eine objektive Sorgfaltspflicht nicht erkannt oder die daraus folgenden Sorgfaltsanforderungen nicht erfüllt hat, obwohl er dazu nach seinen persönlichen Fähigkeiten und dem Maß seines individuellen Könnens imstande gewesen wäre. Bewusst ist die F., wenn der Täter mit der Möglichkeit der Verwirklichung eines Erfolgs rechnet, aber (im Privatrecht) fahrlässig bzw. (im Strafrecht) pflichtwidrig und vorwerfbar darauf vertraut, dass er ihn nicht verwirklichen werde (es wird schon nichts passieren). Unbewusste F. liegt vor, wenn der Täter die Möglichkeit der Verwirklichung eines Erfolgs (im Privatrecht) fahrlässig bzw. (im Strafrecht) pflichtwidrig und vorwerfbar nicht erkennt. Grobe F. ist im Privatrecht die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in außergewöhnlichem Maß, d.h. wenn der Handelnde das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedermann einleuchten musste (z.B. handelt grob fahrlässig, wer bei hoher Geschwindigkeit einem Kleintier ausweicht und dabei von der Straße abkommt, wer als Frachtführer diebstahlsge- fährdetes Gut durch bestimmte Gebiete Italiens mit einem einzigen Fahrer führt, wer bei Rot über eine Ampel fährt, wer seinen Schlüssel in einer vollbesetzten Gaststätte auf dem Tisch liegen lässt oder wer nicht ständig sein Gepäck beobachtet). Nicht grob fahrlässig ist z.B. das Parken eines verschlossenen, alarmgesicherten Kraftfahrzeugs in einer beleuchteten Hauptstraße in Mailand, das Belassen des Kraftfahrzeugscheins im Handschuhfach des Fahrzeugs oder das Nichtversperren einer in ein Schloss gefallenen Haustüre. Die F. gehört im Privatrecht zur Schuld. Sie steht dem Vorsatz gegenüber. Lit.: Deutsch, E., Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. A. 1995; Roth, F., Zur Strafbarkeit leicht fahrlässigen Verhaltens, 1996; König, V., Die grobe Fahrlässigkeit, 1998; Sauer, D., Die Fahrlässigkeitsdogmatik, 2003

, Strafrecht: nach h. M. die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung. Fahrlässiges Handeln ist gem. § 15 StGB nur strafbar, wenn es ausdrücklich mit Strafe bedroht ist. Nach h. M. schließen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit weder gegenseitig aus noch ist Fahrlässigkeit im Vorsatz enthalten. Vielmehr stehen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte in einem Wertungsstufenverhältnis.
Da der Begriff der Fahrlässigkeit im Strafrecht gesetzlich nicht geregelt ist, sind die Voraussetzungen im Einzelnen streitig. Für das Maß der anzuwendenden Sorgfalt und die Vorhersehbarkeit wird z. T. bereits im Tatbestand ein individueller Maßstab angewendet. Nach h. M. wird die Fahrlässigkeit zweistufig geprüft. Zur Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit wird ein objektiver Maßstab angelegt, also die Anforderungen, die an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der fraglichen Tatsituation zu stellen sind. Die Vorwerfbarkeit, also die Fahrlässigkeitsschuld, hängt dagegen davon ab, ob der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage war, die objektiv erforderliche Sorgfalt walten zu lassen.
Die Feststellung einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung knüpft an die konkrete Gefahrenlage unter Berücksichtigung der Grundsätze des erlaubten Risikos. Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut, je größer der Umfang des drohenden Schadens, je wahrscheinlicher der Schadenseintritt, umso höher das Maß der zu beachtenden Sorgfalt. Ob sie verletzt wurde, kann sich aus rechtlichen Regeln oder allgemein anerkannten Verhaltensmaßstäben ergeben. Darüber hinaus können gefährliche Handlungsweisen auch aufgrund ihrer sozialen Adäquanz ein erlaubtes Risiko darstellen. Hierfür können der soziale Nutzen der Handlung, der zur Vermeidung des Risikos erforderliche Aufwand und die Chancen der Risikominderung von Bedeutung sein.
Drei Formen fahrlässigen Handelns sind zu unterscheiden.
Unbewusst fahrlässig handelt, wer die Tatbestandserfüllung nicht für möglich hält, sie aber erkennen könnte (neglegentia).
Bewusst fahrlässig handelt, wer die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, aber pflichtwidrig darauf vertraut, dass es dazu nicht kommen werde (luxuria). Sehr str. ist insoweit die Abgrenzung vom bedingten Vorsatz.
Leichtfertigkeit ist eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, entsprechend der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht. Abweichend von § 18 StGB, wonach bei erfolgsqualifizierten Delikten hinsichtlich der Verursachung schwerer Tatfolgen Fahrlässigkeit vorausgesetzt wird, setzen einige Tatbestände (z. B. §§ 251, 306 c StGB) insoweit Leichtfertigkeit voraus.
Im Übrigen ist der Grad der Fahrlässigkeit nur für die Strafzumessung von Bedeutung.
Zivilrecht: Außer-Acht-Lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB). Fahrlässigkeit bei der Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis hat der Schuldner im Regelfall zu vertreten (§ 276 Abs. 1 S.1 BGB, Vertretenmüssen).
Die im Verkehr „erforderliche” Sorgfalt ist weder die „übliche” („im Verkehr eingerissener Schlendrian” ist daher unbeachtlich, Prot. II, S.604) noch die individuell „mögliche”. Entscheidend ist vielmehr ein objektiv, typisierter Maßstab, bei dem allerdings das Lebensalter und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lebens- oder Verkehrskreis des Betreffenden zu berücksichtigen sind. Erforderlich ist daher die Sorgfalt, die zum Handlungszeitpunkt (also bei Beurteilung „ex ante”) nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des jeweiligen Kreises zu beachten ist. Besondere individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten des Handelnden erhöhen allerdings den von ihm zu beachtenden Sorgfaltsmaßstab.
Ein subjektiv individueller Maßstab für die Beurteilung der Fahrlässigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn der Betreffende lediglich für die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten einzustehen hat (vgl. § 277 BGB).
Nach dem Grad der Fahrlässigkeit wird unterschieden zwischen leichter (oder einfacher) Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und unbeachtet geblieben ist, was in der Situation jedermann hätte einleuchten müssen.
Für Fälle grober Fahrlässigkeit gelten bestimmte Haftungsprivilegierungen und -freizeichnungen nicht (vgl. z.B. §1277,309 Nr.7 Buchst. b, 676 c Abs. 1, 676 g Abs. 4 BGB) und die grob fahrlässige Unkenntnis bestimmter Umstände kann zu Rechtsverlusten oder -nachteilen führen (vgl. z.B. §§442 Abs. 1, 523 Abs. 2, 524 Abs. 2, 529 Abs. 1, 536b, 617 Abs. 1, 851, 932 Abs. 2 BGB). Schließlich haften bestimmte privilegierte Personen nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (vgl. z.B. §§ 300 Abs. 1, 521, 599, 680, 968 BGB).
Verschulden.

Verschulden (2 a bb), Schuld.




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