Revisionsgrund

Revision

Verletzung revisiblen Rechts, auf die die Revision gestützt wird. Sie begründet die Revision nur, wenn die angefochtene Entscheidung auf der gerügten Verletzung beruht, also bei richtiger Rechtsanwendung im Ergebnis anders ausgefallen wäre (§ 549 Abs. 1 ZPO, § 73 Abs. 1 ArbGG, § 337 Abs. 1 StPO, § 137 Abs. 1 VwGO, § 162 SGG, § 118 Abs. 1 EGO). Betrifft die gerügte Rechtsverletzung das Verfahrensrecht, wird es regelmäßig kaum möglich sein, eine solche Kausalität darzulegen. Die Verfahrensordnungen zählen daher für die Verfahrensrüge sog. absolute Revisionsgründe abschließend auf, bei denen unwiderleglich die Entscheidungskausalität vermutet wird und daher nicht weiter darzulegen ist. Solche absoluten Revisionsgründe sind:
— vorschriftswidrige Gerichtsbesetzung (§ 547 Nr.1 ZPO, §338 Nr.1 StPO, § 138 Nr.1 VwGO, § 119 Nr. 1 FGO);
— Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters (§ 547 Nr. 2 ZPO, § 338 Nr. 2 StPO, § 138 Nr. 2 VwGO, § 119 Nr. 2 FGO; Ausschließung);
— Mitwirkung eines wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten oder zu Unrecht nicht abgelehnten Richters (§ 547 Nr.3 ZPO, § 338 Nr.3 StPO, § 138 Nr.2 VwGO, § 119 Nr. 2 FGO);
— Versagung des rechtlichen Gehörs ggü. einem Beteiligten (§ 138 Nr.3 VwGO, § 119 Nr. 3 FGO);
— unrichtige Annahme der Zuständigkeit (§ 338 Nr. 4 StPO). Für die örtliche Zuständigkeit (4 Gerichtsstand) gilt dies nur bei rechtzeitiger Rüge gemäß § 16 StPO; die sachliche Zuständigkeit wird wegen § 6 StPO bereits von Amts wegen geprüft (str.);
Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder vorschriftswidrige Abwesenheit eines anderen Verfahrensbeteiligten bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (§ 338 Nr.5 StPO). Wesentlich sind u. a.: Vernehmung des Angeklagten zur Person und zur Sache, Verlesung des Anklagesatzes/des erstinstanzlichen Urteils, die gesamte Beweisaufnahme (auch Augenscheinseinnahmen außerhalb des Sitzungssaales), Erörterungen über Beweisanträge und Zeugenvereidigungen, Ausschluss der Öffentlichkeit, Feststellung von Vorstrafen, Plädoyers, das letzte Wort des (Mit-)Angeklagten, Verkündung der Urteilsformel. Nicht wesentlich sind: Aufruf von Zeugen und Sachverständigen und deren Belehrung, Mitteilung der Urteilsgründe und die Verkündung von Beschlüssen gemäß §* 268 a, b StPO. Abwesenheit ist nicht nur die körperliche Abwesenheit, sondern auch die durch körperliche oder geistige Mängel bedingte zeitweilige Verhandlungsunfähigkeit;
— nicht ausreichende Vertretung der Partei im Verfahren (§ 547 Nr. 4 ZPO, § 138 Nr. 4 VwGO, § 119 Abs. 4 FGO);
— Beschränkung der Öffentlichkeit, die das Gericht zu vertreten hat und für die entweder keine rechtliche Befugnis vorliegt oder die verfahrensfehlerhaft vorgenommen wurde (§ 547 Nr. 5 ZPO, § 338 Nr. 6 StPO, § 138 Nr.5 VwGO, § 119 Nr.5 FGO);
— fehlende Urteilsgründe oder verspätete Urteilsabsetzung (§ 547 Nr. 6, § 338 Nr.7 StPO, § 138 Nr. 6 VwGO, § 119 Nr. 6 FGO);
— unzulässige Beschränkung der Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Gerichtsbeschluss in der Hauptverhandlung (§ 338 Nr. 8 StPO). Die Beschränkung muss entweder auf der Verletzung einer besonderen Verfahrensvorschrift oder allgemeiner Verfahrensgrundsätze (insbes. Grundsatz des fairen Verfahrens, gerichtliche Fürsorgepflicht) herrühren, die das Recht auf Verteidigung schützen. Die Voraussetzung eines für die Entscheidung „wesentlichen” Punktes setzt voraus, dass das Urteil auf der Verteidigungsbeschränkung beruhen kann. Obwohl in § 338 StPO aufgeführt, liegt damit letztlich kein absoluter, sondern ein „relativ absoluter” Revisionsgrund vor.
Alle anderen Verletzungen des Verfahrensrechts sind nur sog. relative Revisionsgründe, bei denen das „Beruhen” des Urteils auf dem gerügten Verfahrensfehler im Einzelfall nachgewiesen werden muss (vgl. § 337 StPO). Ausreichend ist aber, wenn nicht auszuschließen ist, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre. Zu beachten ist bei Fehlern in der mündlichen Verhandlung bzw. in der Hauptverhandlung die Beweisregel der § 165 ZPO (ggf. i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG, § 105 VwGO, § 122 SGG, § 94 FGO), § 274 StPO, wonach nur Fehler beachtlich sind, die im Sitzungsprotokoll nachgewiesen werden können; unzulässig ist andererseits jedoch die unsubstanziierte Protokollrüge. Bsp. für relative Revisionsgründe im Strafprozessrecht aus der umfangreichen Kasuistik der Rspr. sind:
— Nichtverlesen des Anklagesatzes als Verstoß gegen § 243 Abs. 3 StPO;
Unterlassen der Zeugenbelehrung gemäß § 52 StPO, Verstoß gegen das Vereidigungsverbot gemäß § 60 StPO, unterbliebene Dolmetschervereidigung gemäß § 189 GVG;
— rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages;
— Verletzung von Beweisverwertungsverboten, insbesondere § 252 StPO;
— Nichtgewährung des letzten Wortes des Angeklagten oder eines erneuten letzten Wortes nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung;
— Verletzung des Rechts auf Plädoyer gemäß § 258 StPO; ein Verstoß gegen diese Vorschrift liegt auch vor, wenn der Staatsanwalt keinen bestimmten Schlussantrag stellt, da hierdurch die Verteidigung gestört ist;
Versäumung des Hinweises auf Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes gemäß § 265 StPO;
— fehlende Beratung des Urteils oder Teilnahme einer nicht gemäß § 193 GVG befugten Person;
— Nichtbescheidung eines erst im Schlussvortrag gestellten Hilfsbeweisantrages;
— Verletzung der gesetzlichen Pflicht zur Beschränkung der Öffentlichkeit;
— unzureichende Unterrichtung des zeitweise abwesenden Angeklagten, §§ 231a Abs. 2, 231b Abs. 2, 247 S. 4 StPO;
— unzulässige Beeinträchtigungen der in §§240 Abs. 2, 241, 242 StPO konkretisierten Fragerechte des Angeklagten und des Verteidigers;
— keine ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung als Verstoß gegen § 258 Abs. 1 StPO.




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