Notstand

Im Ordnungswidrigkeitenrecht, vor allem aber im Strafrecht gibt es den Begriff des Notstands, der in den rechtfertigenden Notstand und den entschuldigenden Notstand aufzugliedern ist. Ein Notstand liegt vor, wenn jemand eine Straftat begeht, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut von sich oder einem anderen abzuwenden. Dabei ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen.
Rechtfertigender Notstand
Als gerechtfertigt gilt der Notstand, wenn das geschützte Interesse das bedrohte Interesse wesentlich überwiegt. Z.B. ist ein solcher Notstand dann gegeben, wenn der Hund eines schwer verletzten Unfallopfers erschossen werden muss, damit die verunglückte Person ärztlich behandelt werden kann, oder wenn man bei starker Hitze ein Fahrzeug aufbrechen muss, um ein darin eingeschlossenes Kind vor dem drohenden Kreislaufkollaps zu bewahren. Nicht gerechtfertigt ist es hingegen, wenn ein Betrunkener zur Behandlung einer leichten Schnittverletzung am Finger mit dem Auto zum Arzt fährt.

§34 StGB

Entschuldigender Notstand
Auch der seltener angenommene entschuldigende Notstand setzt eine akute Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Täters, eines Angehörigen oder einer ihm nahe stehenden Person voraus. Der Täter begeht hier ebenfalls zur Abwendung dieser Gefahr eine Straftat, allerdings sind dann das geschützte Interesse und das bedrohte oder beeinträchtigte Interesse ungefähr gleichwertig. Dazu zählt etwa der Fall, wenn ein Zeuge vor Gericht einen Meineid schwört, da man ihm zuvor gedroht hatte, ihn bei wahrheitsgemäßer Aussage zusammenzuschlagen.

§ 35 StGB

Gerechtfertigte Geschwindigkeitsüberschreitung?
Sachverhalt: Der Autofahrer X. überschritt auf der Autobahn die zulässige Geschwindigkeit um 54 km/h und gab als Erklärung einen seiner Ansicht nach gerechtfertigten Notstand an: Er habe eine Frau mit ihrem im Koma liegenden Wellensittich möglichst schnell zu einem Tierarzt fahren wollen.

Urteil und Begründung: Das Gericht folgte dieser Auffassung nicht. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen seien auch die Rangordnungen der betroffenen Rechtsgüter einzubeziehen. Bestehe etwa Gefahr für Leib und Leben von Menschen, so trete demgegenüber die Rettung eines Tieres grundsätzlich zurück. Der Beweggrund, ein erkranktes Tier möglichst rasch behandeln zu lassen, rechtfertige daher die Verletzung von Sicherheitsvorschriften im Straßenverkehr nicht. Gegen den Betroffenen wurde eine Geldbuße in Höhe von 450 EUR festgesetzt.
ObLG Düsseldorf, Aktenzeichen 2Ss (OWi) 97/90

Im Recht allgemein Bezeichnung für eine besondere Lage (Ausnahmezustand), in welcher Verhaltensweisen gerechtfertigt sind, die sonst rechtswidrig (Rechtswidrigkeit) wären. In den einzelnen Rechtsgebieten ist der Notstand unterschiedlich geregelt. Im Zivilrecht gibt es zwei Arten des Notstandes: 1. Defensiver oder Verteidigungsnotstand (§228 BGB): Wenn von einer Sache, die einem nicht gehört, eine Gefahr für eine Person oder eine andere Sache ausgeht (ein fremder Hund greift ein Kind an, oder eine fremde Brandmauer droht auf das eigene Grundstück zu stürzen), so darf man die «angreifende» fremde Sache beschädigen oder zerstören (zum Beispiel den Hund erschießen oder die Brandmauer einreißen), wenn dies erforderlich ist, um die Gefahr abzuwenden und wenn die «angreifende» Sache nicht wesentlich wertvoller ist als das, was sie bedroht. Der Eigentümer der beschädigten oder zerstörten «angreifenden» Sache erhält dafür keinen Schadensersatz. 2. Aggressiver oder Angriffsnotstand (§ 904 BGB): Wenn eine Person oder Sache in Gefahr ist, so darf man fremdes Eigentum verletzen, wenn sich die Gefahr nicht anders abwenden läßt und wenn der angerichtete Schaden im Verhältnis zur drohenden Gefahr gering ist (zum Beispiel Betreten eines fremden Grundstückes am Seeufer, um einen Ertrinkenden aus dem See zu retten; Benutzung eines fremden Autos, um eine bei einem Unfall verletzte Person ins Krankenhaus zu bringen). Man muß allerdings in diesem Falle dem Eigentümer der Sache den entstehenden Schaden ersetzen. Hat man einem Dritten geholfen, kann man den gezahlten Schadensersatz als Aufwendung von diesem zurückverlangen. Im Strafrecht gibt es einen einheitlichen Begriff des Notstandes, nämlich den der «gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut». Wird zur Abwendung einer solchen Gefahr eine Straftat begangen (vergleiche die Beispiele zu 2.: Sie erfüllen an sich den strafrechtlichen Tatbestand eines Hausfriedensbruchs oder einer unbefugten Benutzung eines Kraftfahrzeuges), so ist das Verhalten dennoch ausnahmsweise rechtmäßig und wird nicht bestraft, «wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen... das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt» und «die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden» (§34 StGB). Liegen die beiden letztgenannten Voraussetzungen nicht vor, so handelt der Täter immer noch schuldlos und wird ebenfalls nicht bestraft, wenn es sich um eine «Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit» bei ihm, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person gehandelt hat (§ 35 StGB). Hiervon gibt es allerdings Ausnahmen, zum Beispiel wenn sich der Täter selbst in die gefährliche Lage gebracht hat. Im öffentlichen Recht versteht man unter einem Notstand eine Gefahr für die Allgemeinheit, wie sie sich aus Naturkatastrophen, Seuchen oder Kriegsereignissen ergeben kann. Es gibt hier keinen klar definierten Begriff des Notstandes und seiner Rechtsfolgen. Die einzigen verbindlichen Regelungen enthält die Notstandsverfassung, die 1969 durch die Notstandsgesetze in das Grundgesetz eingefügt worden ist.

1) Strafrecht. Das Strafrecht unterscheidet zwischen dem entschuldigenden N., der die Schuld (Vorsatz od. Fahrlässigkeit) ausschliesst, und dem N., der die an sich strafbare Handlung rechtfertigt (Rechtswidrigkeit ausschliesst). Zum entschuldigenden N. als Schuldausschliessungsgrund gehören der Nötigungsstand des § 52 StGB u. der N. des § 54 StGB (Straftat wird in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden N. zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib od. Leben des Täters od. eines Angehörigen begangen). Vgl. dazu auch Befehlsnotstand, Putativnotstand. Der die Rechtswidrigkeit ausschliessende N. wird im Bereich des Strafrechts als übergesetzlicher N. (Notstand, übergesetzlicher) bezeichnet. Er liegt vor, wenn die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Notstandsfälle gegeben sind (vgl. Ziffer 2). Pflichtenkollision. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt nur einheitlich den rechtfertigenden N. (§ 12 OWiG), wonach nicht ordnungswidrig handelt, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib od. Leben, Freiheit, Ehre, Eigentum od. eines anderen Rechtsgutes handelt, um die Gefahr von sich od. einem anderen abzuwenden, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter u. des Grades der ihnen drohenden Gefahr, das geschützte Interesse das Beeinträchtigte wesentlich überwiegt; dies gilt jedoch nur, soweit die Handlung ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden. - 2) Zivilrecht. Es wird unterschieden: a) AggressiverN. (§ 904 BGB): Der Eigentümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen (Eigentumsprivileg) auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung gegenwärtiger Gefahr notwendig ist u. der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismässig gross ist (z.B. der von einem Hund angefallene A nimmt dem B einen Spazierstock weg, der bei der Verteidigung gegen den Hund zerbricht); es liegt keine rechtswidrige Sachbeschädigung vor; Eigentümer kann jedoch Schadenersatz verlangen, b) Defensiver od. Verteidigungsnotstand (§ 228 BGB): Wer eine fremde Sache beschädigt od. zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich od. einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung od. Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist u. der Schaden nicht ausser Verhältnis zu der Gefahr steht (z. B. A wird von Hund angefallen u. tötet ihn; auch in diesem Fall kein rechtswidriges Verhalten); hat Handelnder die Gefahr verschuldet, ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet. c) Zum Begriff des Notstandes im weit. Sinn gehört auch die Selbsthilfe. - Vgl. auch polizeilicher Notstand, öffentl. Notstand, sittlicher Notstand.

Ausnahmezustand

1. Der strafrechtliche N. ist entweder Rechtfertigungsgrund oder Schuldausschliessungsgrund (Schuld). Nach § 34 StGB (ebenso nach § 16 OWiG) entfällt die Rechtswidrigkeit einer Straftat (Ordnungswidrigkeit), wenn der Täter in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut handelt, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, u. wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Das gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr ist. (Beispiel: Hausfriedensbruch u. Sachbeschädigung zur Rettung eines eingeschlossenen Schwerkranken.) Entschuldigender N. ist nach § 35 StGB gegeben, wenn der Täter in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit (nicht für andere Rechtsgüter!) eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer sonstigen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Konnte dem Täter die Hinnahme der Gefahr zugemutet werden, kommt nur eine Strafmilderung in Betracht. Hat der Täter aufgrund eines nicht vermeidbaren Irrtums fälschlich entschuldigende Umstände angenommen, wird er gleichwohl nicht bestraft. (Beispiel für den entschuldigenden N.: Strassenpassant lässt den infolge einer Schlägerei Schwerverletzten angesichts der Bedrohung durch die Schlägerbande liegen; keine Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung.)
2. Das Privatrecht unterscheidet defensiven und aggressiven N. Durch defensiven N. (§ 228 BGB) gerechtfertigt ist derjenige, der eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Voraussetzung ist, dass die Handlung zur Gefahrenabwehr erforderlich ist und dass der Schaden nicht ausser Verhältnis zur Gefahr steht (z. B. Tötung eines anfallenden bissigen Hundes). Hat der Handelnde die Gefahr schuldhaft herbeigeführt, ist er trotz Rechtmässigkeit seines Tuns zum Schadensersatz verpflichtet. Beim aggressiven N. (§ 904 BGB) geht die Gefahr nicht von der beeinträchtigten Sache, sondern von einer sonstigen Gefahrenquelle aus. Der Täter nimmt aber die fremde Sache in Anspruch, um die - gegenwärtige - Gefahr abzuwenden. Die Einwirkung auf die Sache ist gerechtfertigt, wenn sie zur Gefahrenabwehr erforderlich u. wenn der drohende Schaden unverhältnismässig grösser als der angerichtete ist (z. B. eigenmächtige Benutzung eines fremden Autos, um einen Schwerkranken in die Klinik zu transportieren). Der Täter ist, wenngleich er nicht rechtswidrig gehandelt hat, dem Eigentümer der Sache in jedem Fall zum Schadensersatz verpflichtet.

ist der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist. Der N. ist - unter Aufgabe der älteren Begriffe des Nötigungsnotstands und des übergesetzlichen Notstands - entweder ein Rechtfertigungsgrund (z. B. §§ 228, 904 BGB) oder ein Entschuldigungsgrund. Im Strafrecht liegt rechtfertigender N. (§ 34 StGB) vor, wenn ein Mensch in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren (objektive Erforderlichkeit) Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut (Notstandslage) eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden (subjektiver Rettungswille) und bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grads der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegt. Entschuldigender N. (§ 35 StGB) ist grundsätzlich gegeben, wenn ein Mensch in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren (objektive Erforderlichkeit) Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit (Notstandslage) eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einem anderen ihm nahestehenden Menschen abzuwenden (subjektiver Rettungswille). Der N. kann entweder aggressiv (Angriffsnotstand) oder defensiv (Verteidigungsnotstand) sein. Aggressiver N. (§ 904 BGB) ist im Privatrecht die Einwirkung auf eine fremde, selbst nicht gefährdende Sache, die gerechtfertigt ist, wenn sie zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist (z. B. Aufbrechen einer Berghütte in Bergnot). Defensiver N. (§ 228 BGB) ist die Beschädigung oder Zerstörung einer fremden, eine Gefahr bewirkenden Sache, um die durch die Sache drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn die Beschädigung oder Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht (z. B. Tötung eines angreifenden Hundes). Beim aggressiven N. ist der Handelnde stets, beim defensiven N. ausnahmsweise zu Schadensersatz verpflichtet (§§ 904 S. 2, 228 S. 2 BGB). Überschreitet der Handelnde den durch N. gebotenen Handlungsrahmen (Notstandsexzess), treten die Wirkungen des Notstands nicht ein. Lit.: Müller-Christmann, B., Der entschuldigende Notstand, JuS 1995, L 65; Otte, L., Der durch Menschen ausgelöste Defensivnotstand, 1998; Pawlik, M., Der rechtfertigende Notstand, 2002

existiert im Strafrecht als Rechtfertigungsgrund oder als Entschuldigungsgrund, im Ordnungswidrigkeitenrecht und im Bürgerlichen Recht als Rechtfertigungsgrund.
Der Defensivnotstand gern. § 228 BGB rechtfertigt die Beschädigung oder Zerstörung fremder Sachen zur Abwendung einer durch sie drohenden Gefahr, wenn dies erforderlich ist und der dadurch verursachte Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Bei schuldhafter Verursachung der Gefahr ist der im Notstand Handelnde gem. § 228 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.
Der Aggressivnotstand gern. § 904 BGB rechtfertigt die Einwirkung auf eine fremde Sache, also die Benutzung, Beschädigung oder Zerstörung auch dann, wenn die Gefahr nicht von ihr ausgeht. Voraussetzung ist eine gegenwärtige Gefahr, also die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung eines Rechtsguts jeder Art, die jederzeit eintreten könnte. Die Einwirkung muss objektiv notwendig sein und der drohende Schaden
gegenüber dem aus der Einwirkung entstehenden unverhältnismäßig groß. Sie muss zudem zum Zweck der Gefahrenabwehr erfolgen. Der Eigentümer kann gern. § 904 BGB von dem Handelnden (nach a. A. von dem Begünstigten) Schadensersatz verlangen.
Der rechtfertigende Notstand gern. § 34 StGB bzw. § 16 OWiG rechtfertigt jede Art von Rechtsgutverletzung außer der vorsätzlichen Tötung eines Menschen. Er setzt als Notstandslage eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut, gleich welcher Art, für den Notstandsübenden oder Dritte (Notstandshilfe) voraus. Zur Wahrnehmung staatlicher Interessen s. Staatsnothilfe. Eine Gefahr ist eine auf tatsächliche Anhaltspunkte gegründete Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Sie ist gegenwärtig, wenn der Schaden unmittelbar bevorsteht, gerade eintritt oder auch jederzeit eintreten könnte (latente oder Dauergefahr). Diese Voraussetzungen sind objektiv ex ante zu beurteilen. Die Notstandshandlung ist gerechtfertigt, wenn die Gefahr nicht anders abwendbar ist und bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Ersteres setzt voraus, dass die Handlung geeignet ist und das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr darstellt. Bei der Interessenabwägung sind die Wertigkeit der Rechtsgüter, der Umfang des drohenden Schadens, der Grad der Gefahr sowie auch der Gedanke des Defensivnotstandes, also ein Verschulden des Urhebers der Notstandslage, zu berücksichtigen. Darüber hinaus muss die Notstandshandlung gern. § 34 S. 2 StGB ein angemessenes Mittel zur Abwendung der Gefahr sein. Ob diese Angemessenheitsklausel für die Rechtfertigung durch Notstand eine eigenständige Bedeutung hat, ist streitig. Z. T. werden die hierfür relevanten Gesichtspunkte bereits für die Güterabwägung als maßgeblich angesehen. Insoweit können übergeordnete Rechtsprinzipien, wie der Vorrang der Inanspruchnahme des staatlichen Rechtsweges oder ein eigenes Verschulden des Gefährdeten, die Rechtfertigung ausschließen.
Aus diesem Grund hat z. B. der Nötigungsnotstand nach z. T. vertretener Ansicht keine rechtfertigende, sondern nur entschuldigende Wirkung.
Nach allgemeinen Regeln tritt die rechtfertigende Wirkung nur ein bei Handeln in Kenntnis der Lage und mit der Absicht der Gefahrenabwehr.
Der entschuldigende Notstand (§ 35 StGB) setzt als Notstandslage eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit für sich, einen Angehörigen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine andere nahe stehende Person voraus. In dieser Lage ist eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr.5 StGB) entschuldigt, wenn die Gefahr nicht anders abwendbar war. Einer darüber hinausgehenden Güterabwägung bedarf es nicht. Die entschuldigende Wirkung entfällt jedoch, wenn die Hinnahme der Gefahr zuzumuten war, sei es, weil sie selbst verursacht wurde, sei es aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses oder aus anderen Gründen. Solche Duldungspflichten treffen insb. Soldaten, Polizeibeamte,
Feuerwehrleute und andere Rettungsdienste. In diesem Fall kann die Strafe gern. § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Nach allgemeinen Regeln tritt die entschuldigende Wirkung nur ein bei Handeln in Kenntnis der Lage und mit der Absicht der Gefahrenabwehr. Im Falle der irrigen Annahme der Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes (Putativnotstand) entfällt die Schuld gern. § 35 Abs. 2 StGB nur, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Bei vermeidbarem Irrtum ist die Strafe gem. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern.
Darüber hinaus erkennt die h. M. im Strafrecht auch einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand an. In einer gegenwärtigen Lebensgefahr kann eine zur Gefahrenabwehr erforderliche Handlung, die weder von § 34 StGB noch von § 35 StGB gestattet wird, entschuldigt sein, wenn das angerichtete Übel bei ethischer Gesamtbewertung im Vergleich zu dem verhinderten Unheil das wesentlich geringere war. Jedoch darf dem in Gefahr Geratenen nach den Kriterien des § 35 StGB nicht zuzumuten sein, die Gefahr hinzunehmen, und die Handlung muss nach gewissenhafter Prüfung der Lage von der Absicht der Gefahrenabwehr getragen gewesen sein.
Einen übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand gibt es nicht mehr, nachdem dieser zunächst im Zusammenhang mit medizinisch indiziertem Schwangerschaftsabbruch 1927 vom Reichsgericht (RGSt61, 242) entwickelt, später als Gewohnheitsrecht angesehen, dann aber vom Gesetzgeber in § 34 StGB gesetzlich geregelt wurde.

1. Der strafrechtliche N. kann Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund sein.

a) Er schließt die Rechtswidrigkeit einer Straftat aus, wenn die Tat zur Rettung des Täters oder eines anderen aus einer sonst nicht zu beseitigenden Gefahr begangen wird und das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt (bei Gleichwertigkeit kann ein Schuldausschließungsgrund vorliegen, s. u. b). Im Übrigen kommt es auf die Art der widerstreitenden Rechtsgüter nicht an. Immer aber muss die Tat ein angemessenes Mittel zur Gefahrabwehr sein (§ 34 StGB, § 16 OWiG), so z. B. Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung zur Befreiung eines Eingesperrten, Überschreiten der Geschwindigkeitsgrenze zur Rettung eines Verunglückten. Der Täter muss mit Gefahrabwendungswillen handeln.

b) Entschuldigender N. - bei Begehung einer nach a) nicht gerechtfertigten, also rechtswidrigen Tat - setzt eine gegenwärtige, anders nicht abwendbare Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Täters, eines Angehörigen oder einer ihm nahe stehenden Person voraus; auch darf dem Täter nicht zuzumuten sein, die Gefahr hinzunehmen, etwa weil er sie selbst verursacht hat (z. B. Ausbruch eines Feuers) oder weil er dazu durch ein besonderes Rechtsverhältnis (Soldat, Polizist, Feuerwehrmann) verpflichtet ist. Im ersten Fall kann Strafmilderung eintreten. Das Gleiche gilt, wenn der Täter in Putativ-N. handelte, weil er irrtümlich Umstände annahm, die ihn entschuldigen würden (z. B. eine Bedrohung lag objektiv nicht vor), und wenn der Irrtum vermeidbar war; war er unvermeidbar, bleibt er straflos (§ 35 StGB).

c) Zum Befehls-N. des Soldaten vgl. § 5 WStG, § 11 II SG.
2. Der zivilrechtliche N. (§§ 228, 904 BGB) ist an weniger enge Voraussetzungen gebunden. Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden (z. B. Tötung eines angreifenden Hundes), handelt nicht rechtswidrig (Rechtfertigungsgrund), wenn die Beschädigung oder Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht - sog. defensiver N. -. Hat der Handelnde die Gefahr verschuldet (z. B. den Hund gereizt), so ist er zum Schadensersatz verpflichtet (§ 228 S. 2 BGB).
Darüber hinaus ist der Eigentümer einer Sache nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf seine Sache zu verbieten, wenn dies zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist - sog. aggressiver N. - (z. B. Benutzung eines fremden Kraftfahrzeugs, um einen Schwerverletzten ins Krankenhaus zu bringen). In diesem Fall ist - ohne Rücksicht auf ein Verschulden - dem Eigentümer, obwohl der Eingriff nicht rechtswidrig ist, in vollem Umfang Schadensersatz zu leisten (§ 904 BGB).
3. Polizeilicher Notstand liegt vor, wenn eine gegenwärtige polizeiliche Gefahr weder durch Heranziehung des Störers noch durch die eigenen, der Polizei zur Verfügung stehenden Mittel beseitigt werden kann. Die Polizei ist in solchen Fällen befugt, auch Nichtstörer in Anspruch zu nehmen (vgl. z. B. Art. 10 BayPAG). Dem betroffenen Nichtstörer ist Entschädigung zu leisten, wenn er durch die Inanspruchnahme Schaden erleidet und nicht von einem anderen Ersatz erlangen kann. Der Begriff des p. N. wird auch für den Fall verwendet, dass die an sich örtlich zuständigen Polizeikräfte nicht in der Lage sind, die ihnen gesetzlich obliegenden Aufgaben zu erfüllen. In diesen Fällen sieht das Polizeiorganisationsrecht die Anforderung und den Einsatz anderer polizeilicher Dienstkräfte vor. S. a. Notstand, innerer; Naturkatastrophen.




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