Unterlassungsdelikt

Von U. spricht man, wenn das Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung mit Strafe bedroht ist. Zu unterscheiden: a) echtes l/.;hier ist das Unterlassen selbst ausdrücklich mit Strafe bedroht (z.B. Hilfeleistung, unterlassene, Nichtanzeige drohender Verbrechen); b) unechtes U.; hier unterlässt der Täter eine Handlung, die durch eine ausserhalb des Strafrechts liegende Rechtspflicht geboten war, wodurch ein durch das Strafrecht unter Strafe gestellter Erfolg verursacht wurde. Eine solche Rechtspflicht (Garantenstellung) besteht z. B. zwischen Ehegatten, sich gegenseitig vor Gefahr zu schützen; aus diesem Grund hat jeder die Pflicht, den Selbstmord des anderen zu verhindern. Unterlassen der Wegeunterhaltung od. der Streupflicht kann strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Pflicht zum Handeln kann sich auch aus Beruf ergeben (z. B. Arzt, Kinderpflegerin), aus einem rein tatsächlichen Vertrauensverhältnisses (z. B. Bergsteigergruppe) od. aufgrund der Schaffung einer Gefahrensituation (z.B. Nichtbeseitigung ausgelaufenen Öls von der Fahrbahn), vorangegangenes Tun.

Strafrecht; Verkehrssicherungspflicht.

ist das auf eine Unterlassung gegründete mit Strafe bedrohte Verhalten. Das U. ist damit ein Unterfall des Delikts überhaupt. Es ist echtes U. wenn es im bloßen Unterlassen einer vom Gesetz geforderten Tätigkeit besteht (z. B. §§ 138 StGB Unterlassung einer erforderlichen Anzeige, 323 c StGB Unterlassung einer erforderlichen Hilfeleistung) und unechtes U., wenn der Täter trotz einer Erfolgsabwendungspflicht (auf Grund einer Garantenstellung) durch seine Unterlassung einen - von dieser verschiedenen Erfolg verursacht (§13 StGB, Totschlag durch Unterlassung einer erforderlichen Abwendungshandlung). Das unechte U. ist eine spiegelbildliche Erscheinung zum jeweiligen Begehungsdelikt (z. B. Totschlag durch Handlung oder durch Unterlassung). Lit.: Wilhelm, E., Die Konkurrenz zwischen Begehungsund Unterlassungsdelikten, 1991 (Diss.); Schwab, H., Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, 1996; Scheid, G., Grund- und Grenzfragen der Pflichtenkollision beim strafrechtlichen Unterlassungsdelikt, 2000

Straftat, die im Gegensatz zum Begehungsdelikt durch das Unterlassen einer rechtlich gebotenen und dem Täter tatsächlich möglichen und ihm zumutbaren Handlung begangen wird. Zu unterscheiden sind echte und unechte Unterlassungsdelikte. Bei den echten Unterlassungsdelikten (Omissivdelikt) ergeben sich Voraussetzungen und Inhalt der Handlungspflicht aus dem jeweiligen gesetzlichen Tatbestand selbst (vgl. §§ 123 Abs. 1, 2. Alt., 138, 142 Abs. 2, 323c StGB). Bei den unechten Unterlassungsdelikten(delicta commissiva per omissionern) handelt es sich um das Unterlassen der zur Abwendung eines tatbestandsmäßigen Erfolges gebotenen Handlung. Deren Strafbarkeit setzt gem. § 13 StGB voraus, dass der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt (Garantenpflicht), und dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch Tun entspricht (4 Entsprechungsklausel). Die Strafe für das unechte Unterlassungsdelikt kann gem. § 13 Abs. 2 i. V m. § 49 Abs. I StGB gemildert werden.
Die Voraussetzungen des Unterlassungsdelikts weisen gegenüber denen des Begehungsdelikts zahlreiche Besonderheiten auf:
1) Bei mehrdeutigen Verhaltensweisen, denen sowohl ein Moment des Tuns als auch ein solches des Unterlassens anhaftet (z. B. Abbruch eigener Rettungshandlungen, Radfahren ohne Licht), bedarf es daher zunächst der Abgrenzung von Tun und Unterlassen. Eine in der Lit. vertretene naturalistische Lehre nimmt allein ein Begehungsdelikt an, wenn durch den Einsatz von Energie (also aktives Tun) ein Kausalverlauf in Gang gesetzt oder fortgeführt wird, der in dem tatbestandlichen Erfolg mündet. Für die Annahme eines Unterlassens ist danach nur Raum, wenn entweder kein Tun oder keine Kausalität zwischen dem Tun und dem Erfolg festzustellen ist. Nach einer weiteren Ansicht ist die Abgrenzung entbehrlich, da die Strafbarkeit wegen Unterlassens auf Konkurrenzebene hinter derjenigen wegen Tuns zurücktrete. Nach h. M. ist für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen der Schwerpunkt des sozialen Sinngehalts und der Vorwerfbarkeit des Verhaltens maßgebend. Dabei ist in der Regel an das Tun anzuknüpfen, zumal, wenn das Unterlassungsmoment lediglich die Sorgfaltswidrigkeit der Handlung begründet. Der Abbruch eigener Rettungshandlungen ist danach so lange ein Unterlassen, wie diese noch zu keiner gesicherten Rettungschance für das Opfer geführt haben. Auch das Abschalten von Rettungsgeräten oder die Anweisung des verantwortlichen Arztes gegenüber dem Pflegepersonal zum Abbruch von Behandlungsmaßnahmen (BGH NJW 1995, 204) stellen hiernach ein Unterlassen dar. Der Eingriff in fremde Rettungsbemühungen stellt dagegen ein Begehungsdelikt dar. Um ein schlichtes Konkurrenzproblem handelt es sich jedenfalls dann, wenn die Verursachung des Erfolgs durch Unterlassen derjenigen durch Tun erst nachfolgt (z. B. fahrlässige Verursachung lebensgefährlicher Verletzungen und nachfolgend vorsätzliches Unterlassen von Rettungshandlungen).
2) Soweit hiernach der Tatbestand durch Unterlassen erfüllt sein kann, setzt die Strafbarkeit zunächst die tatsächliche Möglichkeit zur Vornahme der gebotenen Handlung voraus. Hat sich der Täter jedoch selbst schuldhaft außerstand gesetzt, die gebotene Handlung vorzunehmen, so kann er sich auf die Unmöglichkeit rettenden Eingreifens nicht berufen (omissio libera in causa).
3) Die bei den Erfolgsdelikten festzustellende Kausalität zwischen dem Unterlassen und dem tatbestandlichen Erfolg richtet sich nach h. M. nach einer modifizierten Bedingungstheorie. Hiernach darf die unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden, ohne dass der konkrete Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele Kausalität). Nach a. A. bedarf es der Feststellung eines Kausalzusammenhangs bei Unterlassungsdelikten schon deshalb nicht, weil ein solcher im natürlichen Sinne nicht bestehen könne. Vielmehr müsse der Erfolg dem Unterlassen lediglich objektiv zuzurechnen sein.
4) Auch nach h. M. bedarf es wie beim Begehungsdelikt als Erfolgsdelikt der Feststellung der objektiven Zurechnung. Dabei ist neben den für das Begehungsdelikt maßgeblichen Kriterien von Bedeutung, ob bei Vornahme der gebotenen Handlung der Erfolg zu vermeiden gewesen wäre. Insoweit wird nicht nur auf den konkreten Erfolg der Tat, sondern auch auf eine ihm gleichstehende tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung oder -gefährdung abgestellt. Wäre diese auch bei Vornahme der gebotenen Handlung entstanden, so ist der Erfolg dem Unterlassen nicht objektiv zuzurechnen. Diesen Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens versagt dem Täter die Risikoverringerungstheorie, die sich in Rspr. und h. L. jedoch nicht durchgesetzt hat.
5) Der Vorsatz muss sich beim Unterlassungsdelikt nur auf die die Handlungspflicht begründenden Umstände beziehen, nicht auf die sich daraus ergebenden Pflichten. Beim unechten Unterlassungsdelikt handelt also nur der im Tatbestandsirrtum gem. § 16 StGB, der die Garantenstellung nicht kennt. Wer die sich aus den Umständen ergebende Garantenpflicht verkennt, unterliegt einem Verbotsirrtum (Gebotsirrtum) gern. § 17 StGB.
Geht die Handlungspflicht nicht dahin, gegen einen natürlichen Kausalverlauf, sondern gegen das Handeln eines Dritten einzuschreiten, ist danach abzugrenzen, ob das Nichteinschreiten gegen die schädigende Handlung des Dritten als Beihilfe durch Unterlassen oder täterschaftliches Unterlassen zu bewerten ist. Das Nichteinschreiten gegen fremdes Tun stellt unstreitig nur Beihilfe dar, wenn dem Unterlassenden im Falle eines Sonderdelikts die seine Tätertauglichkeit begründenden Eigenschaften fehlen. Dagegen handelt es sich um täterschaftliches Unterlassen, wenn die Förderung des fremden Tuns im Falle aktiver Beteiligung eine mittelbare Täterschaft begründen würde, weil der Handelnde selbst nicht für sein Tun verantwortlich ist. Im Übrigen sind die für die Abgrenzung maßgeblichen Gesichtspunkte umstritten. Z. T. wird insoweit auf die Art der Garantenpflicht abgestellt. Der Obhutsgarant sei regelmäßig Täter, der Aufsichtsgarant regelmäßig als Teilnehmer anzusehen. Nach a. A. soll aus dem Charakter als Pflichtdelikt stets eine täterschaftliehe Haftung folgen, es sei denn, der Garant unterlässt es lediglich, eine Beihilfehandlung abzuwenden. Die h. Lit. stellt auf die Tatherrschaft ab und nimmt unter Gewichtung der beiderseitigen Tatbeiträge eine Täterschaft erst an, wenn der aktiv Handelnde die Tatherrschaft verloren oder aus der Hand gegeben hat. Die Rspr. stellt dagegen - wie sonst auch - auf die subjektive Teilnahmelehre, also darauf ab, ob der Unterlassende Täter- oder Teilnehmerwillen hatte.
6) Als besonderer Rechtfertigungsgrund für Unterlassungsdelikte kann außer den allgemein anwendbaren Regeln die rechtfertigende Pfhchtenkollision eingreifen.
7) Die Schuld kann nach h. M. durch die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ausgeschlossen sein. Nach a. A. begrenzt die Zumutbarkeit bereits den Tatbestand jedes Unterlassungsdelikts.

1.
Im Strafrecht wird nach der Art der Tathandlung zwischen Begehungsdelikt und Unterlassungsdelikt unterschieden.

2.
Ein U. ist gegeben, wenn das Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung mit Strafe bedroht ist. Ein echtes U. liegt vor, wenn das Unterlassen selbst ausdrücklich unter Strafe gestellt ist, so z. B. das Unterlassen der Hilfeleistung bei Unglücksfällen (§ 323 c StGB), das Unterlassen einer Strafanzeige bei bestimmten geplanten Verbrechen (§ 138 StGB, Anzeigepflicht).

3.
Beim unechten U. wird ein Straftatbestand, der regelmäßig in einem Tun besteht (z. B. Körperverletzung, Tötung), dadurch verwirklicht, dass der Täter es unterlässt, den Eintritt des dem Tatbestand entsprechenden Erfolges zu verhindern, obwohl er rechtlich für das Nichteintreten einzustehen hat (§ 13 StGB); so wenn die Mutter ihr Kind nicht genügend ernährt, so dass es gesundheitlichen Schaden nimmt oder stirbt. Die Rechtspflicht, deren Nichterfüllung beim unechten U. die Strafbarkeit (mit Milderungsmöglichkeit wie beim Versuch) begründet, kann sich ergeben

a) aus Gesetz, wie z. B. die Unterhaltspflicht der Eltern, §§ 1601, 1626 I BGB; die aus der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 1353 BGB erwachsende Pflicht, den Ehegatten vor Gefahren (str., ob auch vor Selbsttötung) zu schützen und von Straftaten abzuhalten (besonders hierbei kann auf Zumutbarkeit abzustellen sein), die aber endet, wenn sich der Täter von dem Ehegatten in der ernsthafen Absicht getrennt hat, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherzustellen (BGH NJW 2003, 3212); die Wegeunterhaltungspflicht und die Streupflicht (Straßenbaulast) nach den einschlägigen Gesetzen;

b) aus Vertrag, so die Übernahme der Behandlung durch den Arzt oder der Fürsorge durch die Kinderpflegerin auf Grund Dienstvertrags;

c) durch tatsächliche Übernahme der Fürsorge oder durch ein besonderes Vertrauensverhältnis, z. B. innerhalb der Familie, der Hausgemeinschaft, einer Bergsteigergruppe oder Arbeitskameradschaft (auch hier nur, soweit zumutbar);

d) aus dem Herbeiführen einer Gefahrenlage durch den Täter, der es dann unterlässt, den schädigenden Erfolg abzuwenden (sog. Ingerenz); z. B. der Lkw-Fahrer lässt hinuntergefallenes Stückgut auf der Fahrbahn im Dunkeln liegen; der Gastwirt tut nichts, um den betrunkenen Gast, dem er Alkohol verabfolgt hat, am Autofahren zu hindern, obwohl ihm dies möglich und zuzumuten ist.

4.
Beim Irrtum des Unterlassenden über das Bestehen der Rechtspflicht zum Handeln ist zu unterscheiden: Bezieht sich der Irrtum auf die Tatsachen, welche die Rechtspflicht begründen (Garantenstellung), handelt es sich um einen Tatbestandsirrtum, der nach § 16 StGB Straflosigkeit, ggf. Bestrafung wegen Fahrlässigkeit zur Folge hat (der Lkw-Fahrer hat das Herunterfallen nicht bemerkt); bezieht sich der Irrtum aber auf die sich aus dem Sachverhalt ergebende Rechtspflicht zum Handeln (Garantenpflicht; er hält sich nicht für verpflichtet, das Hindernis zu beseitigen), so greifen die Grundsätze über den strafrechtlichen Gebots(Verbots)irrtum ein (BGHSt. 16, 155); im Einzelnen Irrtum.

5.
Über mögliche Strafmilderung beim unechten U. vgl. §§ 13 II, 49 I StGB.




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