Rechtskraft

Grundsatz unseres Rechtssystems ist es, dass die Gerichte mit einer Rechtssache nur einmal befasst werden sollen. Identische Personen mit dem gleichen Streitgegenstand und den gleichen Tatsachenvoraussetzungen können über die somit gleiche Sache nicht mehrfach Entscheidungen der gleichen oder auch anderer Gerichte verlangen. Ist über eine Sache einmal entschieden und zwar so, dass es nicht mehr die Möglichkeit gibt, ein höheres Gericht anzurufen, dann tritt für diesen Rechtsstreit Rechtskraft ein. Der Versuch, die Sache noch einmal zur Entscheidung zu bringen, ist als unzulässig ohne weitere Prüfung abzuweisen. Dabei muss natürlich anhand des Urteils und der Entscheidungsgründe genau festgestellt werden, zwischen welchen Parteien welcher Streitgegenstand schon entschieden ist. Es spielt dabei allerdings keine Rolle, ob ein Urteil sachlich gerechtfertigt oder unrichtig ist - es sei denn, es sind die ganz wenigen Fälle betroffen, in denen Gesetz und Rechtsprechung ausnahmsweise eine Abänderung eines rechtskräftigen Urteils zulassen.

Ist ein mehrdeutiger Begriff. Man unterscheidet: l. Die formelle Rechtskraft. Sie tritt ein, wenn eine Entscheidung eines Gerichts nicht mehr mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann, wenn sie also endgültig ist. 2. Die materielle Rechtskraft. Sie besagt, für wen eine Gerichtsentscheidung verbindlich ist. In der Regel ist sie das nur für die Parteien eines Prozesses. Ferner besagt sie, welche Tragweite eine gerichtliche Entscheidung hat. In der Regel ist diese auf den Gegenstand des Prozesses (den Streitgegenstand) beschränkt.

(§§ 322, 325 ff. ZPO) ist die Verbindlichkeit eines Urteils. Es ist zwischen formeller und materieller R. zu unterscheiden. Formelle R. bedeutet die Unanfechtbarkeit einer rechtskraftfähigen Entscheidung mit Rechtsmitteln vor einem Gericht des höheren Rechtszugs oder durch Einspruch im Versäumnisverfahren. Sie tritt i.d.R. mit Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels oder Einspruchs bestimmten Frist ein. Die formelle R. ist Voraussetzung für die matehelle R. (§ 322 ZPO). Diese bedeutet, daß alle Gerichte in einem späteren Prozeß zwischen denselben Parteien (grds. haben Urteile nur inter-partes-Wirkung) an den Inhalt der ersten Entscheidung gebunden sind. Handelt es sich in dem zweiten Prozeß sogar um denselben Streitgegenstand, ist die Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft als unzulässig abzuweisen. In Rechtskraft erwächst nur die Urteilsformel (Tenor), vgl. §313 Nr. 4 ZPO. Dieser wird ausgelegt durch die Entscheidungsgründe, die aber selbst nicht in R. erwachsen. Betrifft der Tenor der ersten Entscheidung im zweiten Prozeß dagegen nur eine Vorfrage, ist die Klage zulässig, das Gericht inhaltlich aber an die Entscheidung gebunden, sog. Präjudizialität. Entscheidungsgründe und Einwendungen der Beklagten nehmen an der R. nicht teil. Die R. steht allerdings einer erneuten Klage entgegen, mit der das kontradiktorische Gegenteil des ersten Prozesses geltend gemacht wird. Die Beseitigung der R. ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich (z.B. Wiedereinsetzung, Abänderungsklage, Wiederaufnahmeklage). Abzugrenzen ist die materielle R. auch von der Bindungswirkung nach §318 ZPO. Diese bindet nämlich nur das entscheidende Gericht selbst an die von ihm erlassenen Zwischen-und Endurteile.

Formelle R. erlangt die Entscheidung eines Gerichts od. einer Verwaltungsbehörde, wenn sie nicht od. nicht mehr mit Rechtsmitteln od. Rechtsbehelfen angefochten werden kann. Ist eine Entscheidung nur zum Teil angefochten (Teilanfechtung), so wird der nicht angefochtene Entscheidungsteil formell rechtskräftig. Unter materieller R. versteht man im Zivilprozess die Bindung der Parteien u. anderer Gerichte an die rechtskräftige Entscheidung; im Strafrecht, dass Verurteilter wegen der gleichen Sache nicht nochmals zur Verantwortung gezogen werden kann (ne bis in idem). Siehe auch: Wiederaufnahme des Verfahrens.

Man unterscheidet formelle u. materielle R. Eine gerichtliche Entscheidung ist formell rechtskräftig, wenn sie nicht oder nicht mehr mit einem Rechtsmittel angefochten werden
kann. Demgegenüber bedeutet materielle R., die die formelle J? vor«, daB der Inhalt de, MeUmg fS[
teien massgebend ist; es kann daher über dieselbe Sache nicht nochmals entschieden werden. Die materielle R. wirkt nur zwischen den Parteien oder Beteiligten des Rechtsstreites u. ihren Rechtsnachfolgern. Die R. kann in besonderen Ausnahmefallen z. B durch -Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, beseitigt werden. Im Unterschied zu gerichtlichen Entscheidungen erlangen unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte keine Rechtskraft, sondern Bestandskraft.

(§§ 322, 325 ZPO) ist die Verbindlichkeit einer Entscheidung. Dabei ist zwischen formeller R. und materieller R. zu unterscheiden. Formelle (äußere) R. ist die Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Sie bedeutet insbesondere, dass gegen die Entscheidung keine Rechtsmittel mehr möglich sind. Sie ist Voraussetzung der materiellen R. Materielle (innere) R. (§ 322 ZPO) ist die Maß- geblichkeit des Inhalts der Entscheidung. Sie bedeutet, dass die Gerichte in einem späteren Prozess der Parteien über denselben Streitgegenstand an den Inhalt der Entscheidung gebunden sind. Die Beseitigung der R. ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich (z.B. Wiedereinsetzung, Abänderungsklage, Wiederaufnahmeklage, gesetzliche Anordnung, vorsätzlich sittenwidrige Schädigung). Rechtskräftige Entscheidungen der Obergerichte wirken sich tatsächlich auf nachfolgende Verfahren vor Untergerichten aus. Lit.: Prütting, H./Weth, S., Rechtskraftdurchbrechung bei unrichtigen Titeln, 2. A. 1994; Reischl, K., Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozess, 2002; Rimmelspacher, B., Materielle Rechtskraft und Gestaltungsrechte, JuS 2004, 560

, Owi-Recht: Zu unterscheiden ist die in § 84 OWiG geregelte Rechtskraftwirkung des Bußgeldbescheides und die der gerichtlichen Entscheidung. Der Bußgeldbescheid erwächst in Rechtskraft, wenn der Betroffene gegen ihn nicht rechtzeitig Einspruch einlegt. Gern. § 84 Abs. 1 OWiG kann eine Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, wenn ein Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden oder über sie als Straftat rechtskräftig entschieden worden ist. Ist über eine Tat als Ordnungswidrigkeit durch Urteil oder gerichtlichen Beschluß rechtskräftig entschieden, so hindert dies auch eine Verfolgung dieser Tat als Straftat (§ 84 Abs. 2 OwiG). Die gerichtliche Entscheidung erwächst in Rechtskraft, wenn gegen sie keine Rechtsbeschwerde zulässig ist oder eine zulässige Rechtsbeschwerde nicht fristgerecht eingelegt wird.
Die bloße Entscheidung der Verwaltungsbehörde durch rechtskräftigen Bußgeldbescheid hingegen kann keinen Straf dageverbrauch nach sich ziehen, der die Verfolgung als Straftat ausschließen würde. Dies beruht darauf, dass der Verwaltungsbehörde die Befugnis fehlt, über Straftaten zu entscheiden. Sie ist daher bei Anhaltspunkten für eine Straftat gern. § 41 OWiG zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft verpflichtet.
Verfahrensrecht: Prozessuale Wirkung gerichtlicher Entscheidungen. Zu unterscheiden sind die formelle und die materielle Rechtskraft.
Die formelle Rechtskraft bedeutet die Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Sie tritt ein bei Urteilen, die ihrer Art nach unanfechtbar sind (insbes. des Bundesgerichtshofs), mit Verkündung (bzw. mit Zustellung, §310 Abs. 3 ZPO) und in allen übrigen Fällen (d. h. auch dann, wenn — etwa wegen Nichterreichung der Mindestbeschwer oder wegen Nichtzulassung des Rechtsmittels — ein an sich gegebenes Rechtsmittel im Einzelfall unzulässig ist) mit Ablauf der Rechtsmittelfrist (bzw. bei Versäumnisurteilen der Einspruchsfrist), wenn kein Rechtsmittel oder
keine Nichtzulassungsbeschwerde (bzw. Einspruch) eingelegt wurde (oder ein Rechtsmittel zurückgenommen und vor Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht erneut eingelegt wurde), mit Rechtskraft der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über das eingelegte Rechtsmittel (bzw. des Gerichts über den Einspruch) oder mit beiderseitigem Rechtsmittelverzicht (vgl. § 19 EGZPO). Sie bewirkt den Eintritt der materiellen Rechtskraft und die endgültige (nicht mehr nur vorläufige) Vollstreckbarkeit (§ 704 ZPO). Ihr Eintritt wird auf Antrag auf der Entscheidung beurkundet (§ 706 Abs. 1 ZPO, sog. Rechtskraftzeugnis).
Hinsichtlich des Umfangs der formellen Rechtskraft ist zu unterscheiden: Absolute Rechtskraft liegt vor, wenn die Entscheidung in keinem ihrer Teile durch keinen Verfahrensbeteiligten mehr angefochten werden kann; relative Rechtskraft ist gegeben bei der sog. Teilrechtskraft (das Urteil wird nur teilweise angefochten, der nicht angefochtene Teil wird rechtskräftig) und bei der sog. subjektiv-relativen Rechtskraft (ein Rechtsmittelberechtigter hat — z. B. durch Verzicht das Rechtsmittel bereits verloren; andere Rechtsmittelberechtigte können es jedoch noch einlegen).
Die materielle Rechtskraft knüpft an den Eintritt der formellen Rechtskraft an. Sie ist nach der heute h. M. eine negative Prozessvoraussetzung für einen Rechtsstreit mit identischem Streitgegenstand (die Klage ist dann als unzulässig durch Prozessurteil abzuweisen) und bewirkt innerhalb ihrer objektiven, subjektiven und zeitlichen Grenzen eine Bindung bei Entscheidungen über andere Streitgegenstände, bei denen die rechtskräftig entschiedene Frage Vorfrage ist. Begrenzt werden diese Wirkungen:
— objektiv; in Rechtskraft erwächst nur der Entscheidungssatz, also die Entscheidung über den Streitgegenstand, nicht aber etwa die Entscheidungsgründe und insbes. dort entschiedene Vorfragen (ist z. B. bei einem vertraglichen Erfüllungsanspruch die Wirksamkeit des Vertrages streitig, nimmt die Entscheidung über diese Vorfrage an der Rechtskraft der Entscheidung über den Leistungsanspruch nicht teil, ggf. muss daher Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO erhoben werden);
— subjektiv; die Rechtskraft wirkt grundsätzlich nur zwischen den Parteien des Rechtsstreites („inter partes”; nach § 121 VwGO, § 140 Abs. 1 SGG, § 109 FGO erfasst sie alle Beteiligten des Rechtsstreits und ihre Rechtsnachfolger sowie in Massenverfahren auch die potenziellen Beigeladenen Beiladung); Ausnahmen: § 640h ZPO, Rechtskrafterstreckung nach den §§ 325-327 ZPO;
und zeitlich; die Rechtskraft erfasst nur die Sachund Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, so dass spätere Änderungen
unabhängig von der Rechtskraft geltend gemacht werden können.
Die materielle Rechtskraft des Strafurteils führt zum Strafldageverbrauch. Sie erfasst die abgeurteilte Tat, d. h. die Tat im prozessualen Sinn.
Einschränkungen gelten im Strafbefehlsverfahren, in dem die Strafklage nur hinsichtlich Vergehen und Ordnungswidrigkeiten
verbraucht wird und eine Wiederaufnahme des Verfahrens bei
neu ermittelten Tatsachen, die ein Verbrechen begründen, möglich ist.
Eine Durchbrechung der materiellen Rechtskraft kann erfolgen bei erfolgreicher Anhörungsrüge, Wiederaufnahme des Verfahrens, durch Abänderungsklage (§ 323 ZPO) oder Nachforderungsklage (§ 324 ZPO), bei Aufhebung des Urteils nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde durch das BVerfG (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, im Falle der Revisionserstreckung auf Mitverurteilte (§ 357 StPO) und ausnahmsweise über einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB.

Formelle R. erlangt eine gerichtliche Entscheidung, wenn sie überhaupt nicht oder nicht mehr angefochten werden kann (§ 705 ZPO). Die formelle R. ist Voraussetzung der materiellen R.; diese bedeutet, dass der Inhalt der Entscheidung für das Gericht und für die Parteien maßgebend ist, insbes. wenn die Parteien um dieselbe Rechtsfolge oder ihr Gegenteil nochmals prozessieren. Das Wesen der materiellen R. besteht nach der heute herrschenden prozessrechtlichen Theorie nur darin, dass im Falle eines späteren Prozesses Gericht und Parteien an die rechtskräftige Entscheidung gebunden sind, das materielle Recht aber unberührt bleibt. Demgegenüber sah die materiell-rechtliche Theorie das Wesen der R. darin, dass sie auf die materielle Rechtslage einwirke, sie bestätige oder umgestalte. Die Wirkung der mat. R. besteht nach der prozessrechtlichen Theorie darin, dass über die rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge nicht nochmals, keinesfalls aber anders entschieden werden darf. Gegenstand der mat. R. ist der Streitgegenstand oder prozessuale Anspruch (§ 322 ZPO, § 121 VwGO, § 110 FGO, § 141 SGG), soweit darüber entschieden ist. Das ist aus Urteilsformel, Tatbestand und Entscheidungsgründen festzustellen. Die R. wirkt nur zwischen den Parteien oder Beteiligten des Rechtsstreits und ihren Rechtsnachfolgern (§ 325 ZPO, § 121 VwGO, § 110 FGO, § 141 SGG). Die R. kann nur unter besonderen Voraussetzungen wieder beseitigt werden, durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, durch Abänderungsklage, Klage im Wiederaufnahmeverfahren, als Folge einer begründeten Anhörungsrüge (rechtliches Gehör) und nach bestr. Rspr. auf dem Wege über einen Anspruch nach materiellem Recht (§ 826 BGB; unerlaubte Handlung, 2 e). Über die Wirkungen der mat. R. in Strafsachen Strafklageverbrauch, Teilvollstreckung. Nicht von R., sondern von „Bestandskraft“ spricht man bei Verwaltungsakten (s. dort 8); s. a. Steuerbescheid.




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